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Titel
Am Grab des unbekannten Soldaten
Der Text
Ich stehe am Grab des unbekannten Soldaten
Efeu hat es fest im Griff
es findet im Gegensatz zu ihm Lebensbedingungen
es blüht unscheinbar in meiner Fantasie
und wuchert über den Rand des Grabes hinaus
es wird nicht beschnitten
und so hat bald das ganze Gräberfeld dieses Efeu
das immergrün als die Farbe der Hoffnung erinnert
an was eigentlich?
An die Zahlen 1914 bis 1918, an 39 bis 45
als wäre es etwas besonderes zu sterben
das tun doch alle, sagt es in mir
und die andere Seite widerspricht
erzählt von Krieg, und was er bedeutet
und dass er vergessen wird
weil Efeu darüber wächst
wie die Unverbesserlichen, die ihn verleugnen
in ihnen aber gibt es kein Blühen
nicht einmal ein unscheinbares
denn jede Blüte hat den Zweck der Erhaltung des Lebens
der Toleranz des Andersdenkenden, Fühlenden
vielleicht, sagt die eine Seite
ist es genug zu erinnern
reichen die paar Offiziellen, die eine Schleife am Grab richten
für ganz Deutschland
ihm wird es nichts mehr sagen
er schläft, wie man es seinen Kindern log
nein, an das alles zu erinnern ist altmodisch, nachtragend
abgewetzt wie ein zu oft gespielter Film
dessen Ende jeder kennt
nur sein eigenes nicht
wie er, der scheinbar schläft.
Typ
Gedicht
Autor
Burkhard Jysch