Der Text
Der Raum war gleich rechts, die Tür selten geöffnet, ein Fenster zur Straße, eines zum Buchsgarten, und das rote Sofa mit den bestickten Kissen schien weder bewegt noch irgendwie interessiert an einer Bewegung. Es stand einfach nur da, ohne dass auch nur einer darauf Platz nahm, richtiger, Platz nehmen durfte. Mit dunkelrotem Samt bespannt, die Messingnieten als kleine Perlaugen, die jeden ansahen, der es wagte das Zimmer zu betreten. Aber wenn jemand zu Besuch kam, wie ich zum Beispiel, drehte sich der Schlüssel, und noch während die Tür in Bewegung war, zog sie etwas von der stehenden Luft in den unterkühlten Flur. Stubenluft. Die war aus Medizin, aus Marzipanigem einer Mottenkugel, altem Staub und dem von Läufern, auf denen man sich hier und dorthin bewegen durfte, was von den wachsamen Augen einer der Tanten scharf kontrolliert wurde.
Mein erster Blick galt immer einem Holzregal mit Verzierungen und einer Vitrine, in der auch eine Schneekugel stand, sowie eine aus Elfenbein geschnitzte Schaukel, auf der zwei Kinder saßen mit geschnitzten Gesichtern. Wenn ich sie endlich erreichte, stieß ich beide vorsichtig an, ließ sie schaukeln und wartete auf ein Lächeln oder so etwas. Wenn die Tante mich für einen Augenblick aus ihren Augen ließ, hob ich die Schneekugel an, drehte sie auf den Kopf und ließ es schneien. Auf eine Dorfkirche, auf kleine Felder, die allesamt darauf warteten eine der Flocken abzubekommen, etwas vom Himmel.
Über dem Samtsofa war das große Bild mit den Engeln in den oberen Ecken, der Sonne und einer Landschaft, wie sie wohl einmal gewesen sein mag. Ich sah in die Vergangenheit, während die Kinder hinter mir immer noch schaukelten, während immer noch einzelne Schneeflocken nach ihrem Feld suchten. Von den Eindrücken überwältigt war kaum ein Blick übrig für den immensen Gliederkaktus, der einmal zur Weihnacht in voller Blüte stand, als wollte er beweisen dass Leben war diesseits der Scheiben, außerhalb der Schneekugel und neben der still stehenden Schaukel.
Nur bei ganz großen Ereignissen wurde das Zimmer beheizt. Ein Kanonenofen setzte die Vergangenheit in Brand, scheuchte den Ruhe gewöhnten Staub auf, ließ die Holzdielen knarzen wie kranke Gelenke, ließ Leute ins Zimmer strömen mit ihren Aahs und Oohs beim Betrachten der Einzelheiten, oder still dastehen wie bei der Aufbahrung im Flur an einem der traurigen Tage dieses Hauses. Als Kind konnte ich die Traurigkeit spüren, nicht verstehen in ihrer Endgültigkeit.
Schon bald im Frühling bettelte ich wie immer um die Öffnung des Zimmers, das längst wieder in seinen Dornröschenschlaf gesunken war, und keine sichtbaren Anstalten machte aus ihm geweckt werden zu wollen. Ich zog die Tür des Ofens auf, nahm einen kräftigen Zug verbrannten Holzes, das Schwarz vom Ruß und hoffte auf eine Vogelleiche, die eine der Krähen im Kamin gefangen hielt bis zum Rost. Auf all das blickten mit fest gezurrten Gesichtern Fotos meiner Vorfahren in Schwarzweiß, ernst, sich des Augenblicks bewusst und nichtsahnend, dass sie einmal so alt eingerahmt überleben würden.
Wenn ich das alles schreibe wird mir bewusst welch Zeit im Raffer geschieht, frage ich mich nach dem Verbleib der Elfenbeinschaukel und der Kugel, nicht nach dem des Hauses. Es hat längst neue Fenster mit Kunststoffrahmen und einer schönen Schieferfassade. Ich sah es kurz, als ich auf dem Hof gegenüber unter dem alten Kastanienbaum das Auto wendete, damit ich nicht in den Versuch kam an der Tür zu klopfen.....