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Titel
Die Höhle
Der Text
Sie war jung. Die Männer bedeuteten ihr, in der Höhle zu bleiben bis sie zurück wären. Es waren Zeichen, die zwischen ihnen ausgetauscht wurden. Beim Feuer warfen die Hände, die die Zeichen setzten merkwürdige Schatten an die Wand. Die Höhle war warm. Sie roch nach Schweiß und Rauch, nach feuchtem Stein und nach Abschied.

Sie bemerkte die Unruhe der Männer schon zwei Tage vor ihrem Aufbruch, bemerkte dass sie nachts nicht schliefen. Sie hatte Hunger. Alle hatten Hunger. Die Gegend, in der die Höhle lag war leicht hügelig, nicht weit eines Tales. Es gab viele kleinere Täler hier und einige Höhlen. Im Winter waren die Nächte bitter kalt, die Tage grausam kurz.

Jemand, der vor der Höhle stand wäre niemals darauf gekommen, dass sich dahinter etwas verbarg, das über und über behaart war, große Zähne besaß. Eine kleine, sehnige Figur trug einen nach hinten fliehenden Schädel, in dem zwei schwarz braune Augen steckten. Zwischen Kopf und Schultern war kaum Platz, so dass ein Wesen sichtbar wurde, das ständig auf der Lauer schien. Sie sah, wie sich der Adamsapfel bei einem von ihnen bewegte, als er sie angluckste. Sie kannte das. Die Männer gingen, sie blieb beim Feuer. Irgendwann kamen sie zurück. Blutig vom fremden Blut, blutig vom eigenen. Sie rochen nach Schweiß wie beim Verlassen der Höhle, dann aber war eine Spur Glück dabei, etwas gegen den Hunger. Das Glück roch nur schwach.

Die Hand des Mannes war ebenso voller Haar wie sein gesamter Körper, bis auf die Handflächen und die Fußsohlen. Das Haar war nicht weich. Es war von borstiger Natur, ähnlich dem Gras in heißen Gegenden, wo sich die Natur keine Schwächen erlauben konnte. Sie liebte es, wenn es über ihre überaus großen Vorhöfe strich, in denen sich ihre Sehnsucht aufhielt. Ihre Brustwarzen richteten sich dann dunkel drohend auf, als gelte es einen Fremden zu vertreiben, der dann aber am Ende siegte, seinen Einlass fand und mehr Hunger schaffte.

Die Fußflächen der Männer waren durch Barfußlaufen schrundig, lederartig, und wiesen hier und da Zentimeter lange Risse auf, die schmerzten. Sie waren zu dritt. Am Holz vorbei, das für das Feuer bereit lag, vorbei an den Fellen, die auf dem Boden lagen und stanken, und damit noch eine eigenartige Lebendigkeit ausströmten, wie eine letzte Rache des Trägers, der in die Falle ging. Sie schlichen nacheinander zum Ausgang, zum Gerüst aus Ästen und Zweigen, und standen augenblicklich in völliger Dunkelheit. Vor der Höhle herrschte jetzt in der Mitte des Jahres eine warm, muffig riechende Luft aus gekochter Walderde, Nadeln und dampfendem Moos. Ab und an nach blau schimmelndem Pilz, der sich über das Wehrlose hermachte und es zerfraß.

Geduckt folgten sie ihrem Anführer, der in seinem Blick ein Ziel fixierte, das da irgendwo zwischen den Schatten liegen musste, die von noch tieferer Dunkelheit verschluckt wurden. Er hatte eine Idee, einen Weg zum Fleisch.....

Es war frühmorgens, noch vor dem Aufgang der Sonne, die das Tal in grünes Glas verwandelte. In altes, grünes Glas mit Einschlüssen aus Luftblasen, aus kleinem Getier, aus Faltern und Gezücht mit spinnenartigen Beinen, aus einem einzigen Summen und Brodeln, in dem das Leben gegen sich selbst zu kämpfen schien, um am Ende etwas Brauchbares hervorzubringen, etwas Großes.

Sie mussten durch dieses Tal, wenn sie erfolgreich sein wollten. Sie wussten von der Gefahr. Sie konnten sie wittern.

Teil 2

Bei einer dieser Touren waren zwei Mann abgerutscht. Sie waren vom lehmigen Rand eines Felsvorsprungs in die Tiefe gestürzt. Sie atmeten noch wenige Züge, bevor sich ihre Körper entspannten, den Urin von sich gaben, und ihre Augen weit auftaten, als glaubten sie nicht was sie sahen…. Schon bald waren Ameisen gekommen. Sämtliche Aasfresser verließen das Terrain, wenn sie kamen. Es waren große, schwarze Tiere, die sich vollständig ihrer Körper bemächtigten, und in weniger als einem Tag alles auffraßen. Niemand kümmerte sich um die Knochen, und so war es nur der Wind, der leise durch das aufgerissene Schädeldach pfiff.

Zur Jagd trug jeder der Männer bestimmtes Werkzeug, das sich aus Erfahrung als brauchbar erwies, um z.B. einen Riesen wie das Mammut zu erlegen. Aus einem Berg toter behaarter Vorgänger drang die Botschaft des Brauchbaren, die Weisung des Überlebens, die Überlieferung von Mann zu Mann.

Der Anführer wusste, wo er suchen musste. Er hatte ihre Spuren schon vor einiger Zeit hier gesehen. Zermalmte Bäume, abgerissene Äste, tiefe Mulden, wo der mächtige Fuß im Boden einsank, und Haare in den Winkeln der Zweige, lange braungraue Haare. Die Drei waren äußerst vorsichtig vorgegangen, hatten zwei kleinere Täler noch im Dunkel durchquert, und standen jetzt auf einer Art Hochplateau, als sie den Rauch aufnahmen.

Es war der Duft, der ihre Sinne ebenso spannte wie der nach Fleisch. Es roch nach rauchigem Fleisch. Durch den Brustkorb des einen drang ein tiefes Grollen, das die anderen erschrecken ließ. Zu sehr waren sie sich der Gefahr bewusst, in der sie sich befanden. Jederzeit konnte es im Holz brechen. Dann ein sehr kurzer Kampf, an dessen Ende oft der Sieger blieb, der das Fleisch als erster sah, als erster roch. Ihr Magen zog sich zusammen, Speichel floss aus ihrem breiten Mund. Gierig lenkten sie ihre schwarz braunen Augen in die Richtung, aus der sie den Rauch wahrnahmen. Jeder hatte einen kantigen Stein in der Hand, den er schleudern konnte. Sie hatten es Tag für Tag geprobt. Ihre Wangenknochen standen eckig hervor. Wo ein Feuer war, war die Flucht. Wo die Flucht war, war der Tod, war das Verletzliche, Unvorsichtige, fern jeder Tarnung und Vorsicht. Es war die Nische, in die sich stellen wollten, um ihren Plan umzusetzen. Sie wollten das haben, was glaubte in Sicherheit zu sein.

Die Herde der Mammuts bestand aus einer großen Anzahl von Tieren. Gewaltige Berge, die vorrückten, an deren Flanken das Fell, das bis zum Boden reichte den Gletschern der Eisberge glich. Tief gefurcht, abfallend aus großer Höhe. Im Fell rostete sich die Zeit durch das Eis. Es wärmte und schützte vor fast allem.

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Die Frau war, nachdem die Männer die Tarnung vor die Höhle gezogen hatten, zum Holzstapel gegangen, und legte jetzt einen großen Kloben aufs Feuer, der durch die Nacht ziehen sollte wie die Männer. Voller Glut, voller Hitze. Sie konnte nicht ahnen, dass das Verlassen der Höhle beobachtet wurde. Es waren scharfe Augen, die im Dunkel besser sahen als im Licht. Es waren große, weit aufgerissene Augen, die von niemandem beschrieben werden konnten. Wenn sie nah genug waren, war es immer zu spät, um es zu berichten….

Das Wesen ließ von nun an die Stelle, an der es die Bewegung wahrnahm, nicht mehr aus seinem Blick, und setzte sich auf den Waldboden.


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Das Feuer, das die Männer durch ihre breiten Nasenflügel wahrnahmen, war am Horizont ausgebrochen. Dieser begann plötzlich ein kleines Leben, indem er kurz sichtbar wurde, wieder verschwand, heller aufloderte, Wolken über sich eben rötlich färbte, um dann wieder ins Dunkel zu sinken. Die Wolken schienen mitzuspielen, als wären Geister in sie gefahren. Die Luft roch nach Kiefernnadeln und brannte leicht, wenn sie sie einsogen. Der Anführer grunzte. In seinem Laut war das Grimmige, Unausweichliche, war die Vorfreude auf das Mahl. Es machte ihn stark.

Niemand von ihnen ahnte etwas von dem, was sich hinter ihnen vor der Höhle abspielte. Der Laut, der zwischen den Fangzähnen der Bestie hervordrang, war durchaus dem des Anführers ähnlich, als sprächen sie dieselbe Sprache des Hungers, kämen von derselben Mutter. Ihre Krallen griffen in den Waldboden, um Halt für den Sprung zu finden, den sie plante.

Die Mammuts freuten sich über das Gewitter, das nach Tagen der Hitze ausbrach, freuten sich über den prasselnden Regen, das es örtlich auslöste. Dieser trommelte auf ihr Fell, das ihn in kleinen Flüsschen herunter laufen ließ. Ihre gebogenen Stoßzähne leuchteten verräterisch weiß glänzend im Dunkel, waren auf einen unsichtbaren Gegner gerichtet, doch sie hatten nichts zu fürchten. Sie waren zu mächtig. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass es so etwas wie Angst gab, dass etwas sie ins Laufen brachte, ins Weglaufen. Dieses Etwas kam jetzt auf sie zu. Es war eine Walze aus krachendem, brechendem Holz, aus explodierenden Kiefern, die in der Hitze auseinander flogen, und mit ihrem Streufeuer eben noch dunkle Stellen in Brand setzten. Aus diesem Inferno stob es zum Himmel, der sich in Orangerot über ihren hohen Häuptern zusammenzog. Eine Decke aus böser Ahnung, ein Grund zur Flucht….

Die Feuer waren der Grund für spätere Blüten, für Pflanzen, die ohne die Vernichtung nicht wären. Sie bedeckten ganze Täler mit ihrem süßen Duft, ließen die Fellriesen darin stehen wie in einem Schlaraffenland, in dem es nur sie zu geben schien, und nichts von der unausweichlichen Zukunft zu spüren war, die jedes Lebewesen einmal ereilen würde. Einmal würde man ihr Elfenbein finden. Unter dickem Eis erhalten. Von ungläubig dreinschauenden Wesen, die sich kaum vorstellen konnten, dass hier einmal voller Sommer war. Einmal würde man nichts mehr finden und doch wissen, dass sie hier waren. Es würde Spuren geben….


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Sie legte das große Holzstück in die Mitte des Gluthaufens und sah die Funken aufstieben. Sie suchten sich ihren Weg aus der Höhle durch einen Spalt, der den Rauch aus der Höhle ließ. Nackt wie sie war, bewegte sie sich zu den Fellen, um sich einzurollen. Es war ihre eigene kleine Höhle, ein Ort, in dem sie in ihrer Winzigkeit in den wärmenden, prickelnden Haaren eines Tieres verschwand, und von der Heimkehr ihrer Männer träumte, irgendwo da draußen. Männer, die dieses Tier erschlugen, um ihr Wärme zu geben, die ihr Leben einsetzten dafür. Sie schlug ihre Beine ums Fell und begann hungrig zu werden nach etwas Fleisch, das sie sättigen konnte. Die Höhle roch nachts anders als am Tag. Das war es, was sie als letztes wahrnahm, bevor sie einschlief.

Die Männer schlichen auf das Feuer zu, das Feuer raste ihnen entgegen. Irgendwann würde es einen Moment geben, der den Sieger bestimmte, und den Verlierer in der Ecke ließ. In einem Bereich ca 2 km vor der Feuerwand rannte letztes Leben. Tiere, deren buntes Kleid zur Werbung entworfen war, nicht zur Flucht. Tiere, deren einziges Sinnen das nach Leben war, die brüllten, fielen, starben. Im Flackern und Leuchten den Atem verloren, und tot waren bevor das Feuer als Bestatter kam.

Die drei Männer pokerten um die Laufrichtung des Infernos. Sie setzten auf Halten, während andere ihre Karten hinwarfen, ausstiegen oder auf einen Tausch setzten. Sie spürten bis hier hinauf die unglaubliche Hitze, die aus dem Grund drang und sahen die Mammuts….. Mit ihren Werkzeugen würden sie ihnen das Fleisch aus der Flanke reißen, und auf einem starken Ast zur Höhle schleppen. Drei Tage entfernt. Drei Ewigkeiten weit.

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An einem Morgen erwachte sie umwickelt mit silbergrauem Fell, reckte sich, sah zum Feuer und wusste, dass sie raus musste. Der Fels erschlug sie innerlich am dritten Tag nach dem Verschwinden der Männer. Vorsichtig bewegte sie den schweren Rost einen Spalt breit, und schaffte es, sich hindurch zu zwängen. Die Sonne hatte sich schon einen Teil des Himmels erobert, beleuchtete den Waldboden in spärlichem Licht, in dem sich Schatten bewegten, die durch das Laub entstanden, das mit dem Wind spielte. Nicht jeder dieser Schatten war Laub bewegt, jedoch konnte sie das Fell des aufmerksamen Beobachters nicht erkennen, das ebenso wie der Waldboden in leichter Bewegung war. Unter ihm spannten sich Muskelzüge, und noch während sie sich auf ihren Weg machte, um auf einen Hügel in der Nähe zu steigen, verließ etwas seine Stelle, die es lange Zeit innehatte, um etwas näher zu kommen, etwas näher zum Fleisch…. Es setzte seinen Fuß, ohne auch nur ein Geräusch zu erzeugen ins Dunkel des Waldbodens, und ließ sich von ihm verschlucken.


Die Männer hatten es trotz der leichten Beute, die das Feuer getötet hatte nicht so leicht wie sie es sich dachten. Überall schwelte es im versengten Boden, Feuer flackerten wieder auf. Ihr Schweiß auf der Stirn, ihre schwarz braunen Körper waren der Hitze ausgeliefert, doch der Hunger ließ sie die Atemnot vergessen. Sie rannten zum Mammut, das sie vom Hügel aus zusammenbrechen sahen. Es bewegte sich nicht mehr. Seine Augen waren verdampft, sein Fell bestialisch stinkend verbrannt, seine Haut schwarz verkohlt. Die mächtigen Stoßzähne waren wie zwei Riesenschlangen ineinander gedreht, als wollten sie sich nicht mehr trennen. Ihre Werkzeuge schlugen ins Fleisch, das noch dampfte. Das Feuer war weiter gezogen. Weiter in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Erst jetzt dachten sie an ihre Höhle und an das, was sie darin zurück gelassen hatten. Diese plötzliche Erinnerung war es, die sie schneller arbeiten ließ, bevor sie sich mit den großen Brocken wegschleppten aus der Ebene, die gestern noch voller Leben war, und heute nur noch aus schwarzer Trostlosigkeit bestand.
Noch bevor sie das Fleisch auf die starken Äste spießten, bissen sie hinein und rissen gierig Stücke heraus.

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Sie erreichte die Hügelkuppe, hatte sich mehrfach umgedreht, nach allen Seiten gespäht, war vorsichtig gewesen, hatte Geräusche vermieden. Von hier oben wollte sie einen Blick werfen dorthin, wo sie die Männer vermutete, ein Zeichen sehen, etwas Rauch….Was sie wirklich sah, erschreckte sie. Trotz eines mittlerweile blauen Himmels stand am Horizont eine schwärzlich schmutzige Wolke, etwas, das nichts mit dem Himmel aber viel mit der Hölle zu tun hatte. Sie spürte Angst in sich aufsteigen. Eine zuschnürende Angst, die sie den Heimweg antreten ließ. Als sie auf halbem Weg an die Männer dachte, und wie lange es noch dauern könnte, teilten sich zwei größere Farne neben ihr. Es war nicht das langsame zur Seite Schieben von Blattzeug, um einen Blick zu werfen. Es war das Aufreißen eines Vorhangs zu einem letzten Akt, der mit einem lang gezogenen Schrei begann und in ihm endete. Die Bestie leckte sich nach dem Biss das warme Blut von den Tatzen. Es war eine Art Reinigung.

Die Männer hörten den lang gezogenen Schrei aus der Gegend. Zuerst hatten sie sich gefreut, dass das Feuer einen anderen Weg als den zur Höhle gewählt hatte. Dann hörten sie diesen Schrei und ahnten instinktiv, dass sie das ganze Fleisch für sich hatten. Das Feuer war noch warm, doch auch sie erreichten es nicht mehr. Der Duft verbrannten Fleisches war wie eine Fahne durch das Tal gezogen. Eine Fahne, die sie selbst trugen. Zum Weibchen, das sich über die Frau hergemacht hatte, gehörten zwei ausgewachsene Junge. Sie interessierten sich intensiv für das Fleisch, das ihnen entgegen kam. Sie brauchten nur noch zuzuschlagen.

Als man später an dieser Stelle durch einen glücklichen Zufall einen Schädelknochen fand war es, als erzählte er eine Geschichte. Man stand um ihn, nahm ihn auf und ließ ihn reden. Er erzählte von den letzten Minuten. Von einem Tal, von Farnen und Feuern. Er gab endlos langsam seine Geschichte her wie einer, der Zeuge war. Dessen Zunge aber abgeschnitten war von der Zeit, die über die Fundstelle wehte in Jahrtausenden. Die ihre Lichtspiele trieb an einer Stelle des Tales, das man heute das "Neandertal" nennt.

Ich besuchte eine Museumsbaracke vor einigen Jahren, öffnete vorsichtig die Tür zu einem Raum, in dem sich das Schweigen unter Glas zeigte, das inzwischen zum Reden gebracht wurde. Das Glas umspannte eine helle Vitrine, in der ein Schädelknochen lag, der plötzlich zu "sprechen" begann. Er begann und endete mit einem Schrei……..
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein