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Titel
Die Farbe Orange
Der Text
Einst fuhren wir noch raus, kurz bevor die Sonne wieder ihren abendlichen Zauber veranstaltete, oder soll ich sagen zelebrierte? In den Tropen passiert das leider zu schnell, manchmal so schnell, dass ich keinen Film wechseln konnte, um das kostbare Gold einzufangen, mit dem sie die Haufenwolken verzierte, die sich im Westen zum Meer hin aufbauschten. Ohne es zu ahnen hatten wir eine Stelle etwas ab von unserer Lodge mit dem Leihwagen angefahren, die zuerst schäbig wirkte. Ein großes Feuer musste hier gewütet haben, sämtliche Palmen waren bis in die Wipfel verkohlt, die rotbraune Erde roch noch immer nach Asche.

Ein spärlicher Zaun kam in Sicht, ein paar Hütten, streunende Hunde, wie überall am Abend. Das verrostete Schild einer Biermarke. Aha, vielleicht ein Tisch, ein paar Stühle? Mit einem Blick konnte man sehen, dass sich hier Einheimische den Start für ein Restaurant erschufen, oder doch nur einen Kiosk? Eine riesige Lautsprecherbox ließ durch ihre wirre Verkabelung auf Aussichtslosigkeit schließen sie jemals zu hören. Nein, gerade das war hier nicht nötig an der Spitze der kleinen Insel.

Tatsächlich bewegte sich die Kleine aus dem Schatten der Hütte auf uns zu. Wir hatten uns einen Platz gesucht, von dem man das Meer sehen konnte und die Sonne. Unsere Kameraausrüstung passte so gar nicht zum Tisch, zu den Bambusstühlen. "Two cold beer please!" Kurze Zeit später erschien sie mit dem Gewünschtem in jenem Wiegeschritt, den ich oft in Asien beobachten konnte. Niemand rannte, alles bewegte sich am Rand der heißen Sonnenscheibe und sparte Kraft.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich eine Bewegung, die aus den Bergen kam. Zuerst winzig, dann immer deutlicher kam eine Gruppe zum Strand. Mönche! Ihre Gewänder in jenem Orange, das ich als das vollendetste Orange bezeichnen würde. Ihre mageren Gestalten ließen das weite Tuch in der leichten Abendbrise Abstand nehmen von einem Körper, der längst losgelöst war von allem Weltlichem, Wichtigem. Sie schritten hintereinander. Es waren wohl über zwanzig, die sich nun der Sonne zuwandten, während wir die Canons und Nikons mit dem Teleobjektiv zückten.

Einige gingen langsam bis zur Hüfte ins lauwarme Wasser, und nahmen ein wenig davon, um es auf ihre geschorenen Häupter zu verteilen. Das Ganze dauerte nicht einmal zehn Minuten, in denen wir schwiegen, und ein paar Bilder machten von der Farbschmelze am Meer. Plötzlich war alles in einem Bild zu spüren. Ihr Glaube, das Licht, die Schatten der Wolken, das Meer; und alles in der einzigen Farbe, die sich eine Sonne ausgesucht hatte, um sie mit den Gewändern der Mönche zu teilen.
Orange.
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja