Der Text
Noch einmal, so hieß es, noch einmal solle man die Gunst der Stunde nutzen, und die schräg stehende Mittagssonne genießen. Wir machten uns also auf den kurzen Weg zum Wald, parkten das Auto, und beschritten einen leicht morastigen Waldweg dessen Begehung mir vor Jahren Schwierigkeiten bereitete, weil ich mich erheblich verlief.
Jetzt kannte ich mich aus. Durchs Herbstlaub fielen bündelweise Strahlen, bewegten den Waldboden, als wäre da noch Leben unter den Gefallenen, eine letzte Suche nach Schutz. An den steilen Hängen sahen wir Pilze jeder Art, manche in Nimm-mich-mit-Farben, andere getarnt und eher schmackhaft. All das zusammen tat seine Wirkung, die für eine Stunde tiefes Einatmen, fast ohne Geräusche und doch so voller Leben uns mit einbezog. Ungefragt. Überhaupt wurden keine Fragen gestellt. Woher diese und jene Pflanze kommt, warum der Baum gerade da steht, und der andere woanders, und was es wohl mit all den alten Betonklötzen auf sich haben mochte, die fürs tausendjährige Reich gebaut wurden. Dafür gab es eine Frage, die weit über das Blätterdach hinaus ragte. "Werdet ihr ohne mich leben"?
Das Glücksgefühl der Stunde ließ bei dieser Frage das Gold der Blätter, das saftige Grün des Waldweges, die leuchtenden Farben der Pilze in einem etwas anderen Licht erscheinen, einem Licht, das durchaus nachdenklich stimmte. Es würde nichts so bleiben, wie es war. Schon jetzt besuchten uns immer seltener Vögel auf dem Balkon, es blieben keine Insektenreste auf der Autoscheibe, und Nachrichten kamen nicht ohne gewaltige Brände aus, die auf der anderen Seite des Globus aktuell Australien heimsuchen.
Mit schwarzer Walderde an den Schuhen kehrten wir zurück, und dem Gefühl, wieder einmal richtig durchgeatmet zu haben.