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Titel
Der Zaun
Der Text
Zur Straße hin setzte ich ihn einst an stabile Eichenpfähle. Er war mal braun und von der Art, wie man sie oft vor Bauerngärten sieht. Über ihn hinweg lugten Rittersporn und Bauernrosen. Doch mit den Jahren kamen Spuren einer Sommersonne, als auch Frost, der in seine tiefen Poren drang. Damit er noch ein paar schöne Jahre haben sollte, erbarmte ich mich seiner und erwarb eine große Dose Farbe.

An jenem Mittwoch kniete ich vor ihm und begann ihn abzuschleifen. Hinter mir schrillte die Glocke eines Verkaufswagens, der regelmäßig einmal die Woche Lebensmittel anbot. Mit der Aufschrift Chicken King signalisierte er, dass auch Hühner mit an Bord waren. Leckere Hähnchen vielleicht, oder ein Saftiges für die Suppe. Ich unterbrach meine Tätigkeit und schlenderte hinüber. Der Fahrer blieb hinterm Steuer, seine Begleiterin übernahm den Handel. Ich deutete auf eines der Suppenhühner und ließ es auswiegen. Das liegt bei Fünfeuroachtzich! Ich hole eben Geld aus dem Haus, gab ich zurück und ging wieder an meine Arbeit. Schon auf dem Weg zum Zaun stellte ich mir vor, wie das Klapperteil ein zweites Mal seine Würde verlieren sollte. Durch Schrumpfung.

Nach einer kurzen Zeit sprach mich ein Nachbar an, der wohl nach mir etwas kaufen wollte.
Kauf bloß was am Wagen, da ist mächtig Geschrei. Er schlägt sie halbtot....!

Jetzt hörte ich es auch, sprang schnell ins Haus und holte Geld.

Habe mich umentschieden, sagte ich zu einer sichtlich verstörten Dame, nehme heut´ nur zwei Eier.

Was soll ich sagen, die Lage entspannte sich zwar etwas, dennoch beschloss ich, den nächsten Zaunanstrich nicht an einem Mittwoch vorzunehmen. Es könnte Tote geben....
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch