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Titel
Der Keller
Der Text
Es war an einem dieser Nachmittage aus Sonne und staubigem Bürgersteig, der sich vor dem großen Portal des Krankenhauses der städtischen Kliniken treten ließ von Vorbeieilenden, Verliebten oder Rentnern, die sich auf einen Rollator stützten. Im Komplex lief die Routine aus Verletzungen und deren Heilung, aus Krankheit, Geburt und Sterben. Und alles lag nur einen Flur entfernt, eine Treppe, oder eine kurze Fahrt mit dem Fahrstuhl, der etwas breiter ausgestattet war als normal. So passten neben den Nutzern aus Besuchern und Klinikpersonal soeben noch Betten herein, in denen Patienten transportiert wurden.

Sie war noch nicht lange eingebunden in den Dienstplan der Einrichtung, die sie bisher nur von außen gesehen hatte. Ihre Ausbildung zur Krankenschwester hatte sie soweit bestanden, und sah ins Fenster der Praxis, die nicht immer der Theorie entsprach. In den obersten Stockwerken waren jene Bereiche, in denen Operationen stattfanden. Mehr oder weniger ungestört vom Klinikbetrieb, der sich je mehr verstärkte, desto näher man dem Cafe´ im Erdgeschoss kam.

Darunter lag der Keller, den man nur als Personal mit Zugangsberechtigung erreichen konnte. Hierzu bedurfte es eines Schlüssels, der gesondert in das entsprechende Schloss innerhalb des Fahrstuhls gesteckt werden musste. Jeder der betreffenden Mitarbeiter hatte einen der kleinen Schlüssel an seinem Klinikband, und nutzte ihn für den Fall, in dem es für den Patienten nur noch abwärts ging. Meist wurde das weiße Kliniklaken über den Verstorbenen gezogen, der im Bett ruhend bis zur Erledigung der Formalitäten in den Keller verbracht wurde.

Diese Prozedur war allgemein unbeliebt, da sich der Bereich nicht nur in grünlichem Licht, sondern in einer erstaunlich perfekt Schall gedämpften Atmosphäre befand. Jeder Bedienstete war froh, wenn er den Körper in eines der auf vier Grad gekühlten Fächer bugsiert hatte, um sie mittels des großen verchromten Hebels luftdicht zu verschließen.

Vom vierten Stock bis unten hielt der Fahrstuhl mehrmals, in den nur ein Besucher zustieg, um sich neben dem Bett mit dem Laken befördern zu lassen. Die anderen warteten lieber, wenn sie sahen...Sie selbst war nur bei der Kurzeinweisung unten gewesen, und jetzt erstmalig mit der Aufgabe betreut, für die der Schlüssel gedacht war. Es beschlich sie ein Unbehagen, das sie aber gekonnt überspielte, wenn sich die Augen für einen Moment mit dem Besucher trafen. Er verließ den Fahrstuhl im lärmigen Erdgeschoss, während sie jetzt durch Drehen des Schlüssels und Schließen der Tür nur noch die Mechanik wahrnahm, mit der der Fahrstuhl betrieben wurde.

Die kalten Leuchtstofflampen erhellten den stillen Raum, während sie nach dem zugedachten Fach suchte, und es bald an der Nummer erkannte, die ihr mitgeteilt wurde. Sie war froh, nachdem sie den Hebel umgelegt hatte, und nun auf dem Weg zurück zum Fahrstuhl war, auf den sie etwas warten musste, da er sich im oberen Stockwerk befand. Obwohl der Keller durchaus beheizt wurde, fror sie. Die Anzeige ließ auf das Erscheinen in Kürze schließen, als sie herumfuhr....

Das Geräusch, das sie deutlich hörte, war ein Räuspern. Nicht laut, eben so, dass es hörbar war. Nicht zuzuordnen einer Richtung, noch, warum außer ihr ein lebendes Wesen hier unten sein konnte. Während sich ihr Magen umdrehte und ein Schrei aus ihr heraus wollte, bewegte sich hinter einer der Säulen, die der Statik des Hauses dienten, einer der Pfleger, der sich kurz zuvor im Keller aufhielt und sich einen Scherz ausgedacht hatte...

Entschuldigend erklärte er auf dem Weg nach Oben, dass es durchaus üblich war, Neue einer Prüfung zu unterziehen, die nicht in der Prüfungsordnung steht, aber zum Teil der Krankenhausrituale gehöre. Eines Tages würde der Pfleger noch zu ihrem Opfer werden, das beschloss sie auf dem Weg nach Oben...
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch