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Titel
Der Mamapipper
Der Text
Falls es jemanden gibt, der mit dem Begriff nichts anzufangen weiß, ich kläre auf, klage an und berichte aus dunkler Vorzeit.

Wer den Begriff erfunden hat, das weiß ich auch nicht. Er galt seinerzeit einem Kleidungsstück, das ich tragen musste. Es war von grauer Farbe und von grauenvoller Tragbarkeit. Nach dem Krieg dachte offensichtlich die überlebende Bevölkerung nur ans Überleben. Das konnte der Nachwuchs, also ich, nur, wenn er warm gehalten durch die Wintermonate kam. Gestrickt wurde eine Art Beinkleid in schenkelbedeckender Länge, das sich durchgängig der oberen Körperhälfte bemächtigte, und mit einem tiefen Ausschnitt versehen durch zwei Träger daran gehindert wurde, von der zarten Hüfte zu rutschen. Der Stoff war teils aus Schafwolle, der Rest ist unbekannt und unwichtig. Schafwolle hat die Tendenz, den Träger bis zur Raserei zu bringen durch Kratzen. Wie ein Schaf selbst das aushält weiß ich nicht. Es müsste sich, wie ich damals, ständig schubbern oder auf dem Rücken die Tage im nächsten Dorfbach verbringen.

Tut es nicht. Schafe sind immun gegen sich selbst. Sie tragen den Pipper ja auch nicht auf der Haut, sondern er wächst ihnen durch die Haut, also weg von der Haut. Jedes Mal, wenn Mama auch nur die Schranktür öffnete, und in das gewisse Fach langte, schossen mir schon die Tränen in die Augen. Rigoros wurde ich damit bekleidet und in den strengen Frost geschickt. Das Teil hielt dermaßen warm, dass in meinem Umkreis der Schnee schmolz. Wenn er aber einmal, aus Versehen natürlich, zwischen den Beinen mit einer gewissen Flüssigkeit in Verbindung kam, dann entwickelte sich der Pipper zum wahren Killer. Wie Schmirgelpapier mit Härtegrad 30 übte er seine wahre Gewalt aus, und ließ mich wie ein Wolf aufheulen.

Heutzutage sind diese Mamapipper nicht mehr in Gebrauch, doch gestern Abend, beim Eurovisions Gersangswettbewerb glaubte ich tatsächlich bei einer Darbietung ihn wiederentdeckt zu haben. Echt Schaf.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch