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Titel
Der Besuch
Der Text
Bis jetzt konnten wir uns erfolgreich um die seit langem bestehende Einladung herum drücken. Immer kam für uns etwas dazwischen. Mal war es ein Todesfall, dann der kranke Hund, häufig half der Dienstplan, auf dem für den nächsten Morgen ein Frühdienst den gemütlichen Abend zu Fünft zunichte machte. Aber wie lange noch? Nachdem sämtliche Anverwandte unter der Erde lagen, der Hund an Staupe eingegangen war, nachdem ich verzweifelt meine Liste der glaubwürdigen Ausreden komplett abgehakt hatte, (eine Oma starb gleich zweimal), wurde es Samstagabend im September.

Wir horchten in uns hinein, ob nicht irgendeine Unpässlichkeit sich ankündigte, keine Vollnarkose geplant war - nichts – Es war das Drängen, das "Ihr müsst kommen!", es war die ständige Wiederholung, dass wir nun aber endlich mal kommen müssen, um das Haus zu sehen. Vor meinen Augen und Ohren zeichneten sich Schreckensbilder ab. Ich schlief schlecht. Freds Erzähl Tsunami war bekannt. Man schnappte nach Luft, wenn man mal was sagen wollte, bekam aber keine. Anke war nett, und wischte mir regelmäßig den Krümel vom Mund, wenn sie einen sah. Wie Mutti.

"Klingel du!" "Nein du!" Ich hatte verloren, und drückte den Knopf unter dem Schild

Hier wohnen Frank Anke und Rebecca Feuerhake

Fred und Anke Ende Zwanzig, Rebecca Fünf. Rebecca riss die Tür auf, ein warmer Luftschwall flutete unsere Gesichter. In meinem feuchten Händchen hielt ich eine Flasche Asti Spumante, und ein blaues Alpenveilchen mit Knitterschärpe. Mit dem glücklichsten Lächeln, das wir auf Lager hatten, betraten wir den Flur, in dem sofort Frank und Anke auftauchten, die sogleich mit der Krümelsuche begann. Frank und Rebecca redeten auf uns ein, Frank nahm das Veilchen, sowie den Sekt entgegen. Unsere Jacken hängten wir an den blauen Kleiderständer vor der blauen Wand unter der blauen Decke, von der blaues Licht floss. Als ich das letzte Mal soviel Blau sah, war es im Schwimmbad um mich herum, als ich mich verschluckt hatte und fast ertrunken wäre.

"Oh wie passend!" kommentierte Anke unser blaues Alpenveilchen. Ich notierte mir für den nächsten Besuch eine Flasche Curacao Blue. "Blumen find´ ich Kacke!" Die Meinung von Rebecca. "Vielleicht stehst du ja auf Sekt?" versuchte ich sie etwas zu trösten. Als Erzieherin hatte Anke gelernt manche Fragen einfach im Raum stehen zu lassen. Manche Ansichten über Blumen auch.

"Kommt doch rein und sucht euch einen schönen Platz am Tisch!" Unter Blaulicht schritten wir ins nächste Gemach: Das Wohnzimmer. Alles in Gelb! Tischdecke, Sitzecke, Fensterrahmen, Tapeten, Geschirr und Hansi, der Kanarienvogel, Fan von Borussia Dortmund. Die optische Verwirrung von Blau nach Gelb vollzog sich in mir wie ein Gerichtsbeschluss, dazu begleitet von Rebeccas ausführlicher Berichterstattung, dass sie sich zu Weihnachten ein gelbes Meerschweinchen wünscht mit vielen Jungen, während Fred mir gleichzeitig von seiner Kur am Rotsee berichtete. Farblich völlig unpassend. Heimlich notierte ich mir für den nächsten Besuch Sonnenblumen fürs Wohnzimmer, und nahm den gelben Stuhl mit der gelben Lehne in Erwartung der Senfeier. Ich sollte mich täuschen.

Anke kam aus der Küche mit zitronengelber Schürze und der Kürbissuppe. Da hätte ich mal drauf kommen sollen. In mir gärte die Frage, welche Farbe wohl das Schlafgemach haben möge, der Boden, der Keller, das Bad.....während Fred und Rebecca ein Tandem bestiegen hatten, mit dem sie beharrlich mein Trommelfell umkreisten.


"Kürbis, wie passend!", kam es aus mir. Seit Jahrzehnten tat ich mich eher an der Verunstaltung dieser Früchte hervor, als an ihrer Zubereitung. Hässliche Fratzen wurden von Innen mit Wachslichtern erhellt. Jetzt sollten wir das Fleisch der Geister essen...

Es schmeckte! Außer einem "Oh" und "Ah" gelang uns kein Satz zu Gehör zu bringen. Die Gesprächsmoderation übernahm Rebecca. Das Erstaunliche war die konsequente Umsetzung der antiautoritären Erziehung. "Nein" galt als ausgestoßen, Schweigen dort, wo ein Wort, mindestens ein scharfes, wenn nicht mehr angebracht gewesen wäre. Nach der kalten Platte mit Gelbwurst und Rührei kam der Nachtisch. Ein Zitronensorbet, das ich mit meinen quietschgelben Eierlöffeln genoss.

Manchmal wird es Nacht. Es wurde. Zeit ins Bett zu gehen. Nicht wenn Besuch ist. Die antiautoritäre Nachtruhe beginnt mit einem zarten Gespräch, das eher eine Zumutung fürs kleine Kind, als um das natürlichste der Welt geht. "Hasilein", flötete es von gegenüber, "könntest du dir vorstellen in dein Zimmer zu gehen? Mama legt dir eine Kassette ein und drückt den Knopf vom Räuber Hotzenplotz?"

Die Frage durfte im Raum stehen bleiben wie ein Furz. Von niemandem geliebt, von allen wahr genommen. In meinen Fingern regte sich das unbestimmte Gefühl einen aufs Maul zu geben zu müssen. In meinem Hirn der Satz: Du bist Gast! Verteile den Schlag auf zwei Betroffene. Das Schauspiel ging bis elf Uhr. Fred versuchte noch die Stromzufuhr zu unterbrechen, und uns alle zum Schein zum Schlaf zu bewegen. Es dauerte keine dunklen 5 Minuten, da stand der Hauptdarsteller in der Schwelle und richtete über die ertappte Gesellschaft: "Ihr seid ja immer noch da..."

Ja, das waren wir, aber nicht mehr lange. Ich warf noch einen Blick in ihr Schlafzimmer, das in Rosa ertrank, als wäre es dessen letzter Wunsch gewesen.

Endlich und endlich umfing uns die Dunkelheit, die nur von hellen Scheinwerfern erhellt wurde. Von einfachem Weiß. Beim Abschied unterm Blaulicht zeigte ich Anke meine Zunge. Sie war belegt und irgendwie gelb. Sie wischte mir noch einen Krümel vom Mundwinkel, der den Abend irgendwie überlebt hatte, ganz so wie wir.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein