Der Text
Die verglaste Eingangstür war leicht zu öffnen. Man brauchte nur von außen leicht zu drücken, oder von innen leicht zu ziehen. Der Unterschied bestand darin, dass selten gezogen wurde, also real, nicht theoretisch in Gedanken. Das wurde wohl 100x100 mal mehr in den Köpfen getan, die im Vorraum auf den Griff starrten. Weißhaarige Köpfe übervoller Leben. Jedes mal wenn ich diese Tür aufstieß, sah ich noch eben die Erwartung, die im Moment des Erkennens verwelkte. Der Kopf nahm dann wieder die Stellung ein. Die des Tages, des Monats, des Jahres.
Selten verirrte sich ein Sohn, eine Tochter, ein Verwandter, ein Freund, ein Erinnerer, der es den Berg hoch schaffte, und sich vom Verkehrsschild "Keine Wendemöglichkeit" nicht abschrecken ließ. Wenn er Glück hatte, erwischte der Besucher einen der zwei Parkplätze vor diesem Eingang.
Das für die Töchter des Erbauers einst erfolglos erdachte Domizil wurde behindertengerecht umgebaut. Barrierefrei, Aufzug, großer Saal mit Blick auf die Stadt mit ihrem Fluss. Sogar ein kleiner Goldfischteich mit tropischen Pflanzen ringsum bereicherten die Welt. Fische schnappten nach Futter, wenn es von einem der noch Sehfähigen gestreut wurde. Man selbst setzte sich zu den immer gleichen Zeiten an den sauberen Tisch mit Blick auf die Stadt, wenn die Blätter des Sommers nicht die Sicht einengten, und nur ein paar Dächer durchließen. Auf den Fluss, der hin zum Meer strebte, und Wünsche mit sich trug....
Die grünen Feen sorgten, deckten, fütterten, trösteten und beruhigten das allzu Aufgeregte, das aufbegehrte gegen die Einweisung, gegen den eigenen Wunsch, doch noch ein paar Sommer zu bleiben woher sie kamen. Es gab keinen Besuch von mir, in dem ich diese Wünsche nicht ablesen konnte, auch wenn sie es hier wahrhaftig umsorgt vorfanden. Mit der Zeit verloren sich wichtige Dinge wie Montag oder Freitag, Sommer oder Winter, es verlor sich die Nacht im Tag und umgekehrt. Auf dem meist laufenden Bildschirm war etwas anderes zu sehen und zu hören. Etwas von draußen vor der Tür. Wer sah noch hin?
Manchmal setzte sich die einstige Klavierlehrerin auf den kleinen Drehsessel im großen Speisesaal, begann überraschend ein paar Töne hervor zu zaubern, bei denen die anderen aufblickten, wenn sie sie erkannten, und ein Lächeln in ihren Rücken spendeten.
In der Küche durften jene Kartoffeln schälen, die es hundertfach getan hatten. Auch wenn sie jetzt viereckig waren, sie durften dabei sein, ihren Geruch wahrnehmen, wenn noch etwas Erde an ihnen klebte. Man ließ sie dabei sein bei etwas, das seinen Weg von den Feldern durch den Eingang bis in die Küche schaffte.
Der Stumme, wie ich ihn nannte, behielt seine Ledermütze auf, und schwieg bei meinem letzten Besuch, wie beim ersten vor Jahren. Seither versuchte ich die Entfernung zwischen seinen Gedanken und der Tür zu schätzen. Schließlich gab ich es auf. Es war zu weit für uns beide.