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Titel
Der Fang des Tages
Der Text
Mir war nach Fisch. Frischer gebratener Fisch mit knackigem Salat und Bratkartoffeln von Schmörkes, wie man die kleinen Dinger hier nennt. Beim Gedanken ans Mahl floss es mir im Mund zusammen, so dass ich mehrmals schlucken musste, und dieses vor ein paar Kunden des Supermarktes zu verstecken suchte. Ich ging zielstrebig auf des Deckenschild "Fisch" zu, und trat vor den schräg angebrachten Tresen mit blankem Eis bedeckt, aus dem hier und da eine Flosse ragte, oder ein freudloses Auge glubschte. Von einer Bedienung war weit und breit nichts zu sehen. Ich fragte in die Runde, wer von den Eisheiligen wohl die meisten Gräten habe, und wer den längsten Anmarschweg? Eisiges Schweigen! Stattdessen wurde es unter der Palette lebendig, und es fragte zurück:

"Na, schon etwas ausgesucht?"

Die Stimme gehörte einer jungen Verkäuferin, die Untertage am Eisberg gewerkelt hatte. Sie musste mein Zwiegespräch belauscht haben, was mir etwas peinlich war. Sie trug ein XXL T-Shirt mit der Aufschrift "FREE THE WHALES".

"Sind alle frisch?"

"Soeben aus dem Wasser! Die Flotte legt gleich hinter unserem Laden an, und ist schon wieder unterwegs auf Fang!" Sie zeigte in Richtung des Parkplatzes, der von Norddeich Mole geschätzte 400 km entfernt war, und gluckste bei ihrer Antwort etwas. Offensichtlich hatte sie Spaß daran.

"Der da sieht aber etwas müde aus, und ist wohl zu Fuß unterwegs gewesen?"

Ich deutete auf einen, mit dem Blick eines Viertklässlers an einem Montag Morgen.. Sie würde ihn nach meinem Verschwinden flugs aussortieren gegen einen anderen.

"Wie wäre es mit Forelle?"

Noch immer hatte ich sie im Hals. Bei einem Grillabend vor zehn Jahren war mir eine der Gräten im Halse stecken geblieben.

"Sie kommen aus Kanada und springen bis zu 10 Meter weit!"

Ich merkte schon, dass die Forelle und ich nicht zusammen passten.

"Was ist mit Lachs aus Norwegen? Gleich am Fuße der Berge werden sie gezüchtet, bekommen nur gutes Futter im eiskalten Wasser des Gletschereises."

Sie kannte sich gut aus, wusste mehr als jemand, der einen Scanner ablesen konnte.

"Ich nehme das da...."

Dabei zeigte ich auf eine Schwanzflosse, die sich als Seeteufel herausstellte, den sie langsam aus dem Eis holte. Eine beachtliche Erscheinung mit einem Blick, der bei mir Mitleid auslöste. Nicht eine Minute länger sollte er in sibirischen Verhältnissen zubringen. Dann lieber in meiner Pfanne!
Im heißen Fett knusprig gebraten mit einer Scheibe Zitrone auf dem Kopf.

"Danke für die nette Beratung!" sagte ich noch in eine Richtung, in der schon wieder die Ruhe des ewigen Eises eingetreten war.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja