Der Text
Es ist einer der Geburtstage, an denen die Eltern im Hintergrund arbeiten, um die zu erwartende Gesellschaft später absolut zufrieden zu stellen. Es darf Kakao sein und jede Menge Knabberzeug, Wunderkerzen und Spiele im Garten. Da lässt sich der Vater auch mal auf allen Vieren zum Pferd machen, oder eine Binde vor die Augen legen...
So sieht es aus, bis uns dunkle Wolken, näher kommendes Grummeln und erste Tropfen ins Haus treiben. Ein Septembernachmittag. Die Stimmung bleibt hoch, ebenso der Geräuschpegel. Drei Mütter aus der Nachbarschaft hören wohl bei geöffnetem Fenster den Trubel und schauen vorbei. Sie holen sich ein Glas Sekt aus der Küche, und nichts deutet auf etwas hin, das uns daran hindern könnte selbst ein paar unsichtbare Sterne vom Himmel zu holen.
Trotz Lärms im Wohnzimmer, und jetzt einsetzendem Starkregen bei Blitz und Donner, höre ich die Klingel an der Haustür. Noch eine Mutter? Nein, es ist Dennis. Jeder kennt Dennis, jeder hat schon mal was von ihm gehört, fast jeder kann eine kleine Geschichte von verschwundenem Spielzeug, einer deftigen Hauerei mit ihm, oder einem geklauten Fahrrad erzählen, das an der rückwärtigen Wand des Hauses seiner Eltern angelehnt gefunden wurde. Seiner Eltern, die ihm statt sich selbst einen Hausschlüssel in die Hand drückten.
Er ist pitschnass, hält einen kaputten Schirm über sich, und bettelt darum die Geburtstagsparty als Gratulant zu bereichern. Ich sage: "Einen Moment, Dennis, ich frage mal eben nach..."
"Hört mal her alle, draußen steht Dennis und will auch mitfeiern..." Schweigen. Es ist das lauteste Schweigen, das ich je gehört habe. Die Mütter äußern sich dahingehend, dass sie mitsamt ihrer Kinder dann sofort gehen würden, falls er rein käme. Einige der kleinen Gäste verziehen das Gesicht beim Namen Dennis. Gemeinsam mit meinem Sohn gehe ich zur Tür, in der er sich festhält wie an einem Stück Holz.
"Wir sind fast am Ende der Party," sagt mein Sohn, "und es lohnt nicht mehr". Die schwerste Tür, die ich bis jetzt geschlossen habe, schließt sich mit einem gewaltigen Donnerschlag ganz in der Nähe. Als wir allein wieder rein kommen, herrscht allgemeine Entwarnungserleichterung. Kurze Zeit später wieder die Klingel. Energischer als vorher, dringender. Ich gehe wieder zur Tür. Wieder dasselbe Bild. "Ich will ihm nur ein Lied singen, dann hau ich wieder ab", sagt er halb fragend. Hole Sohn wieder aus der Gesellschaft und flüstere ihm ins Ohr: "Er will nur singen..."
Und da steht der völlig durchnässte ungebetene Gast mit großen Augen bei Wind und Regen und beginnt das Lied Frere Jaques.... Der Regen peitscht unter seinen Schirm, der Text des Liedes, die ganze Situation ist fremd, falsch, von so nicht gemeinter Welt. "Komm mit rein", mein Sohn fällt das Urteil. Nach einer kurzen Besinnungspause sind selbst die Mütter mütterlich, und alle Kinder friedlich im vereinten Spiel.
Bis Dennis mittlerweile so ziemlich alle Spielsachen an sich gerissen hat, als gäbe es etwas zu verlieren. Etwas, das er nie besaß und zumindest für heute nicht loszulassen bereit war.