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Titel
Das schwarze Schaf
Der Text
Unter allen weißen Schafen ist immer auch ein schwarzes. Eine Laune der Natur, deren Farbpalette reichhaltig ist, lässt es auf die Welt kommen und die Menschen mit dem Finger darauf zeigen. In meinem Fall in der zweiten Nacht meiner Bundeswehrzeit.

Als das kleine Sturmgepäck, das windstill auf dem Spind lag, der Stahlhelm daneben und unter ihm der kleine Schlüssel für das Vorhängeschloss, das meine Kleidung beschützte:

Auf Kante gelegte Hemden, gebügelte Hosen, und alles in Molleskin, das dem Feind verriet, wer Zivilist ist und auf wen geschossen werden darf, als tiefster Friede sich ausbreitete, zeterte eine Sirene auf den Fluren......

Beim Bund gab und gibt es Menschen die wollen dahin, die müssen dahin und welche, die sind schon da. Von der letzteren Sorte drehte einer den Strom ab, ein anderer an der Handkurbel der Sirene, deren Klagelied Soldatenträume zusammenbrechen ließ wie die Kettensäge den Tropenbaum. In unserem Zimmer sprangen 6 Mann aus ihren Feldbetten, die so hießen weil sie sich so anfühlten, sprangen von oben den anderen fluchend in den Rücken und begannen sich hurtig anzukleiden. Bei Alarm sollte jeder möglichst schon vor dem ersten Heulton feldmarschmäßig im Flur angetreten sein, was aber nur der konnte, der die Zeit herausbekam, wann es soweit war....

Mein Griff zum Stahlhelm, sein Herunterreißen und das Geräusch des kleinen Schlüssels, der auf dem gebohnerten Parkett einige Freudensprünge vollzog, ließ nichts Gutes ahnen. Meine hektische Suche nach diesem wertvollen Metall im Dunkel wurde vom Gebrüll eines Ausbilders angetrieben, das denselben Effekt hatte wie Rizinusöl auf den Darmtrakt.

Auf meiner Stube lagen 5 weiße Schafe und ich, träumten vor Minuten noch vom Polenstädtchen oder schwarzbraunen Haselnüssen, während sie jetzt einer nach dem anderen angekleidet in kampfbereiter Art den Raum verließen und das Schaf im Schlafrock nicht einmal fragten, ob sie den Schlüssel mitsuchen sollten. Sie hasteten den Flur entlang und reihten sich neben schwitzende Körper, die schnell, schnell Aufstellung annahmen.

Dem schwarzen aller Schafe dämmerte langsam, das es in dieser Nacht mit dem Schlüssel nichts werden würde. Vielleicht in der kommenden. Ins Schicksal gefügt schlich es sich durch den leeren Gang im blau weiß gestreiften outfit mit Stahlhelm und suchte die Lücke im Halbdunkel, die natürlich in der vordersten Reihe von den lieben Kameraden frei gehalten wurde. Es fiel etwas Streulicht auf eine Gestalt, die so auffällig war wie ein Mehlsack im Kohlenbunker. Sie fühlte sich etwas unwohl, als das Licht wieder angeschaltet wurde.

Es wurde zackig Meldung gemacht, dass der Zug angetreten sei und bereit jeden Befehl auszuführen, der nötig das Vaterland zu verteidigen. Überall auf der Welt wird für Abschreckungswaffen geforscht. Man gibt viel Geld aus für Dinge, die lebensgefährlich sind, ungesund und zum Tode führen können. Ein einziger Schlafanzug würde die Kampfhandlungen augenblicklich unterbrechen, einige wichtige Fragen klären, ob man sich gegenseitig genug achtet, oder den Ernst der Lage falsch eingeschätzt hat. Es käme zum Dialog, nicht zum Desaster.

Schnauzend näherte sich ein Unteroffizier, der an diesem und jenem herummäkelte, ein Knopf nicht in Reih und Glied monierte, Stiefel falsch herum angezogen kritisierte, was auf Rückzug deuten könnte. Neben mir stand ein Kamerad, der nun wirklich nichts für seine Hasenscharte konnte und so ernst wie möglich dem Brüller ins Gesicht sah.

"Beim nächsten Alarm kommen se mit getarnten schwarzen Zähnen, sie Wildbrett!!!!"

Ich bemerkte Wutspeichelfluss beim Ausbilder. Dann stand er vor mir. Er trug graue Handschuhe, die ich um diese Uhrzeit als auch nicht gerade passend empfand, holte mächtig Luft, sah in meinen Augen zwei Ausreden oder drei und... ?.... ließ mich stehen. Ich hatte mich wohl präpariert, wollte das Mütterchen daheim ins Gespräch bringen, das meine Sachen immer ordentlich legte, bis mich der Ruf ins Feld ereilte, oder vom schweren Schicksal der Nachtblindheit, um ihn günstig zu stimmen. Alles umsonst.

Ich hob mir die Idee für die nächste Bewährungsprobe auf, die kommen sollte wie der nächste Tag, oder besser die nächste Nacht, in der das schwarze Schaf allein farbtechnisch die größte Chance zur Tarnung hat, wenn es den Schlüssel findet, den verdammten.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch