Der Text
Man kann nicht sagen, dass Alfred zeitlebens ein friedfertiger Gesell gewesen war. Gab es Streit, gehörte er meist zu denen von dem er ausging. Als Schlichter denkbar ungeeignet war es sogar so, dass man den Eindruck hatte, es gefiel ihm, wenn die Wellen seiner kriegsfähigen Idee zu einem Missverständnis aufgebauscht wurden, und wie hässliche Vorwürfe in die Ohren derer klatschten, die eigentlich mit der Sache nichts zu tun hatten, und der Urheber dieser Debatte sich schon aus dem Staub gemacht hatte. Alfred war eben Alfred.
Als er starb, er hatte sich an einem Hörnchen beim Frühstück verschluckt, röchelte noch eine Weile und sank dann zu Boden, als er starb hinterließ er ein Testament. Er hatte rechtzeitig dafür gesorgt, dass sein letzter Wille auf Papier festgehalten wurde, das er einem Notar anvertraute. Dass er vermögend war, verheimlichte er vor der gesamten Verwandtschaft und ließ keinen Zweifel daran, dass er ein armer Schlucker sei, dem es schwer fiel ein Geschenk zu kaufen, da er sich selbst auch keine machte. Seine Kleidung war mäßig bis dürftig, seine Lieblingshose wurde als Grabbeigabe mit in die Erde gelassen, da sie selbst in der Altkleidersammlung auf Ablehnung und Unverwertbarkeit gestoßen wäre.
Als die Nachricht seines Todes die Verwandtschaft erreichte, gab es eine Mischung aus verhaltener Freude und Neugier, aus vorgespielter Trauer um den lieben Alfred und der Neugier, was denn hinter der Einladung zur Testamentseröffnung durch den Notar verborgen sein könnte.
Um 10 Uhr am Vormittag saßen alle Eingeladenen im Halbrund eines kleinen Arbeitszimmers, das mit Akten voll gestopft war, und beobachteten einen hinter dem Schreibtisch sitzenden dicken Menschen mit Brille, wie er mit einem Brieföffner das Kuvert öffnete. Das Stück Papier war mehrfach verklebt, so dass es dem bemühten Rechtspfleger schon etwas Sorge bereitete, seinen Inhalt unversehrt zu öffnen.
Die Anwesenden trugen mehrheitlich dunkle Kleidung, seine Witwe einen Schleier. Alfred hatte seinerzeit dem kleinen dicken Mann ausdrücklich aufgetragen zur Testamentseröffnung ja nicht seinen Hund zu vergessen, einen betagten Rauhaardackel, sollte dieser ihn überleben. So saß auch Drömmel neben der verschleierten Dame und blickte etwas irritiert in die versammelte Runde.
Endlich hielten kleine dicke Finger ein Stück hand beschriebenes Papier, das von Weitem Alfreds Gekrakel sehr ähnlich war.
Der Notar begann mit der Eröffnung:
"Wenn ich Euch hier so sehe, begann er zu lesen, ist es das erste Mal dass ihr euren Mund haltet!"
Liesbeth sah nach Oben, als ob er sie beobachten konnte und hielt ihren Mund.
"Während ihr die Kaffeetafel nach meiner Beerdigung mit voll geschlagenen Bäuchen verlassen habt, euch mehrere schlaflose Nächte um den Gedanken an meinen bescheidenen Nachlass gemacht habt, liege ich hier unten in aller Ruhe und sehe euch vor mir."
Die Witwe sah nach unten, Drömmel vermutete ein herunter gefallenes Stück Brot und begann zu suchen.
"Kurth, Liesbeths Mann, du bekommst meine Pfeife. Die mit dem gelben Mundstück."
Alfred wusste von Kurths Abneigung gegen Tabakqualm, Kurth zuckte etwas zusammen.
"Für dich, Liesbeth, habe ich nichts gefunden, was du gebrauchen könntest außer einem Satz neuer Ohren, die ich aber nirgendwo auftreiben konnte." Liesbeth schluckte.
"Paula, meine Lieblingserbin, soll mein Auto bekommen."
Es war ein alter Ford, den Alfred vor Jahren abgemeldet in seinem Schuppen stehen hatte. Er war bereits in einem Zustand, den Alfred selbst nach 10 Jahren Liegezeit unter der Erde nicht erreichen würde. Paula begann leise zu weinen. Drömmel hatte seine vergebliche Suche nach dem heruntergefallenen Wurststück eingestellt und die Nase voll von Bohnerwachs.
"Da ich mein ganzes Leben von Bescheidenheit geprägt war, was man keinem von euch nachsagen kann, kam ich zu dem Entschluss, mein ganzes Barvermögen meinem über alles geliebten Drömmel zu vermachen. Er, und nur er hat es verdient vom Geld zu profitieren."
Bei dem Wort Geld zuckten alle zusammen - bis auf Drömmel.
"Damit die Barschaft, die ich über die Jahre an euch vorbei gespart habe, auch ausschließlich dem Dackel zugute kommt, habe ich einen Verwalter eingesetzt, dessen Name und Anschrift dem Notar bekannt gemacht wurde.
"Dir, Hertha, die Witwe hob etwas den gesenkten Kopf, will ich meinen Dank aussprechen für all die herrlichen Jahre, die wir uns angeschwiegen haben. Nur durch diese Ruhe ist es mir möglich gewesen, mich über das Wesentliche im Leben zu freuen, den Frieden."
Hertha dachte an das Wesentliche der letzten Jahre und sah Alfred in seiner Lieblingshose am Frühstückstisch Pfeife rauchen. Friedenspfeife.
Alle sahen sich bedeutungsvoll und ziemlich atemlos an. Dem Notar war die Brille etwas tiefer von der Nase gerutscht, und Drömmel machte seinem Namen alle Ehre. Sie hätten ihm vor der Versammlung noch etwas Auslauf gönnen sollen, dem frisch gebackenen Millionär.
Am Schluss dieser für alle so ungewöhnlichen Veranstaltung trat in die noch weiche Hinterlassenschaft eines müden Rüden - Paula, die das erste Mal nach der Beerdigung voller Trauer weinen musste.