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Titel
Das Mosaik
Der Text
Als ich das Haus verließ – ob es Sommer war? Hatte ich mich noch einmal zu diesem Backsteinbau mit den Fensterkreuzen und stets ungeputzten Scheiben, noch einmal vielleicht umgedreht? Oder war ich, wie es meine Art, auf die Straße getreten, um den Bus zu besteigen, der mich irgendwo hin brachte? Auf jeden Fall aber weg von zu Haus. Mit seinem Dach unter dem ich schlief, und das keine Begrenzung zum Himmel hatte.

Als ich das Haus verließ war ich 19. Punkt. Ich wusste nicht viel, gemessen an dem, was andere wussten und leid- oder lustvoll erfahren hatten. Dafür wussten sie nicht, wie man mit Hilfe eines Stocks über einen sehr breiten Graben sprang, ohne sich die Füße nass zu machen. Ich nichts über die Gemeinheiten der Stadt und ihre Krankheiten, die unheilbar waren, wenn man sie nicht verließ. Man musste sich trennen, um gesund zu werden.

Dort, wo ich her kam gab es neben dem Haus nur noch zwei andere, und sonst nichts als das Feld und den Wald, und dazwischen die staubige Straße mit den vielen Schlaglöchern in denen sich die Sonne spiegelte im August, und das Eis den Himmel fraß im Februar. Mit dem Bus fuhr ich in die Stadt in eine Kaserne und gab das Denken auf über alles, was auf dem Wasser im Teich nahe des Hauses schwamm und weshalb so leicht? Denn ein Dienstplan nahm es mir ab und schrieb mir die Hose vor, die zu tragen war und den Helm gegen den Feind im Osten, der nie kam. Ich freute mich über jeden Treffer mit dem MG auf der Pappscheibe aus Pappe statt Mensch, wobei die Entfernung zum Töten dieselbe blieb.

Wie sehr ich doch zu Hause blieb merkte ich manchmal nachts, wenn Partikel des Traumes wie ein plötzlich entdeckter wissenschaftlicher Beweis am Morgen noch lebten. Nur der Graben wurde breiter. Ich schaffte den Sprung nicht mehr im Traum. Zu lange her. Einzelne Bilder blühender Sauerkirschbäume mit Hummelflugbrumm und Gras, das plötzlich wuchs bei Regen. Ein verrosteter Pflug, der auf nichts wartete. Die Eule mit ihrem Bau im stillgelegten Schornstein 30 Meter hoch.

Das Mosaik war aus jedem Tag meines Lebens. Es klebte auf der Rückseite zusammen, um die Vorderseite nicht auseinander brechen zu lassen. Es war die, die man sah. So kantig die Tage waren, es passte und fügte sich letztlich zusammen, wurde ein große Ganzes, das niemand sah. Nicht mal ich. Wer kann schon jeden Tag seines Lebens sehen? Es genügt ein Moment, sagte mal die Oma. Einer, der alles ist. Und niemand weiß, ob er schon gewesen oder noch kommt. Das macht es aus. Man weiß es eben nicht.

Später würde ich aus dem Bus aussteigen, den einen Kilometer Weg zurück zum Haus zu Fuß zurücklegen und vielleicht in die zugefrorenen Schlaglöcher treten mit dem verspeisten Himmel. Doch dann stellte ich fest, dass eine Haltestelle direkt vor dem Haus war, die Straße geteert, der Wald furchtbar erwachsen, nicht wieder zu erkennen, und den Wiesen die Kühe abhanden gekommen waren. Stattdessen Pferde, und Wagen ihrer Besitzer mit Allradantrieb.

Da stand es noch. Das Haus, mit unserer Vergangenheit. Es hatte Fenster, die ohne Kreuze waren und ich wusste, dass sie deshalb im Winter keine Eisblumen mehr trugen. Und als ich näher trat, sah ich auf die Namensschilder unter denen vielleicht noch Spuren....Und wenn, dann mussten sie doch noch wissen, wie ich damals raus rannte bei Schnee, die Tür sperrangelweit offen und nichts als Weiß. Ein ganz besonderes Mosaik aus einer Farbe.

Einer einzigen.
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch