Text 96/643

Titel
Camping
Der Text
Die Fahrt nach Dangast verläuft glatt, wenn auch die Planenwurst, in der Zelt und Stangen ruhen, auf meine rechte Schulter drückt. Am frühen Nachmittag erreicht unser Gefährt einen Campingplatz inmitten von Kiefern und begrüßt uns mit dem Schild: Voll Besetzt! Wohin man auch schaut, lustiges Zeltvergnügen. Ein paar Blicke von Campern sehe ich noch im Rückspiegel, als wir den Weg Richtung Deich nehmen. Ich parke vor einem Kassenhäuschen. Ein wuchtig gewachsener Mensch hinter der kleinen Scheibe, die er vorsichtig öffnet....

Nach der üblichen Begrüßungsfloskel schüttelt er den Kopf, wie man es tut, wenn man zu Jemand Nein sagen will, der es aber nicht glaubt. Ich bettele etwas intensiver und zeige auf meine Schweiß überströmte Familie im Innern des schwer beladenen Karren. Beginne die Geschichte, dass ich seit 2 Jahren keinen einzigen Tag Urlaub machen konnte, und dann noch das Kind... und die Frau...Der Durchbruch! Es gäbe da eine Wiese, und direkt bei den Dixi Toiletten noch die letzte Chance für 2 Nächte...Wie viel Platz ich denn bräuchte? Ich breite meine Arme aus und lasse die Handflächen gerade. Die eine deutet auf Wladiwostok, die andere auf Vancouver.

Er drückt mir einen Zettel für Parkplatz und Zeltplatz in die Hand und öffnet eine Bahnschranke. Ich finde die Toiletten sehr schnell, da ich das Fenster herunter gekurbelt habe. In der Nachbarschaft schauen uns mehrere Camper zu, wie wir aussteigen und ausladen. Das Wichtigste ist zuerst die Behausung selbst. Später kann man dann alles Weitere darin unterbringen, und vor dem aufkommenden Seewind schützen. Wenn erst mal das Dach steht, kann die Erholung sofort einsetzen.….

Das Zweitwichtigste ist, sich eine Übersicht zu verschaffen. Die Wurstpelle wird ausgestülpt und gibt neben der eigentlichen Zeltplane einen ganzen Berg Rohre her. Mittlere Rohre, kleine Rohre, lange Rohre, Rohre mit Winkelstück und zwei Winkelstücken, dann welche, wo mal eines war.... Ein Klötern wie in einer Dorfschmiede. Wir bekommen mehr Zuschauer...Wenn ich etwas aufbaue, brauche ich absolute Ruhe. Da kommt es grad recht, die Familie hinter der Plane her zu schicken, die Richtung Deich weht. Der Wind hat zugelegt. Ich gebe den Befehl raus, dass sie sich ab jetzt nur noch auf der Plane aufhalten sollen.

Die Frage, ob jemand der Anwesenden 1960 beim Richtfest dabei gewesen ist, vielleicht ein altes Foto vom Zelt bei sich hat klingt etwas zynisch. Immerhin passen einige Rohre irgendwie zusammen. Später werde ich es schwer bereuen, da sie nicht wieder auseinander wollen. Man soll ja keine Gewalt anwenden. Ich nehme den großen Holzhammer, das flutscht. Es wundert mich die ganze Zeit schon, dass ich zu viele Stangen für zu wenig Plane habe. Aus einem der Nachbarzelte ruft ein Schnauzbart: "Brauchste Hilfe?"

Ich soll darauf gerufen haben: "Halts Maul, und kümmere dich um deine Bratwurst!" Kann es einfach nicht ab, wenn man mir indirekt abspricht eine Lösung für ein Problem zu finden. Es mag ja sein, dass ich etwas zu hart reagiert habe aufgrund der bisher benötigten Zeit, die Metallstangen ineinander zu treiben....

Im Sommer sind die Sonnenuntergänge an der See das Schönste, was Deutschland zu bieten hat. Noch schöner als Berge im Winter. Aber nicht, wenn es stürmt! Nachdem so etwas wie eine Metallraute entsteht, stelle ich mir vor, wie die kleine Plane darauf die Nacht überstehen soll bei Sturm, und werde ungehalten. Dann ziehe ich mich in mich zurück und schnauze nur noch in der Gegend herum. Aus den Nachbarzelten werden Fotos von unserem Zelt gemacht bei Bier und Wurst.

Die letzten Heringe versenken wir kurz vor 9 Uhr abends. Ich binde den First mit einem Tampen an der Öse fest, die oben auf dem Dixiklo fest geschweißt ist. Wenn es sich los reißt, soll das Klo mit, um es im Schlick zu verankern.

Beim Abwracken am Sonntag wird der Tampen dran bleiben, die Heringe drin bleiben, und das, was das Zelt sein sollte, kommt in die Altkleidersammlung. Zum Wegschmeißen einfach zu schade...
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch