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Titel
Brief an den Nachbarn
Der Text
Sehr geehrter Herr!

Seit vier Jahren wohne ich in Ihrer direkten Nachbarschaft. Was uns trennt ist nicht nur die dicke Hecke, es ist viel mehr. Es hat meines Erachtens wenig Zweck mit Ihnen darüber zu diskutieren, was sich gehört und was nicht. Wer auf engem Raum zusammen lebt, sollte jedoch einige Grundregeln kennen und sie befolgen. Sie kennen sie nicht, und wenn, befolgen sie sie nicht. Bei unseren direkten Zusammentreffen vor den jeweiligen Grundstücken hatte ich immer das Gefühl, Sie sähen durch mich hindurch, wie hypnotisiert, Sie würden mich gar nicht wahrnehmen, und schon gar nicht verstehen.

Ich will Ihnen mal was verraten: Es geht mir genau so! Es wird nur noch wenige Jahre dauern, und Sie werden den Rasenmäher bereuen, mit dem Sie mir immer dann den Nachmittag verderben, wenn wir hier Besuch haben. Leicht könnten Sie einen Auffangkorb an den Brüller anbringen, stattdessen mähen sie immer im Kreis, dass der Schnitt unter der Hecke auf mein Grundstück treibt, und sogar in die Kaffeetassen meiner Gäste. Sie werfen Schnecken über die Hecke. Ich habe es beobachtet und sie wieder zurück geworfen, wenn Sie das Haus verlassen hatten. Geben Sie es auf Schnecken zu werfen!

Um guten Willen zu zeigen, werde ich noch etwas von meinem Vorhaben Abstand nehmen, einen Laubbläser anzuschaffen mit dem Namen Oma get on, oder so ähnlich. Einen aus Oregon. Er soll so stark sein, dass er das Klima beeinflussen kann. Ich kann ihn so einstellen, dass er unter der Hecke hindurch gezielt ihre Tomaten in einem Moment an die Hauswand bläst. Ich warne Sie! Meine Frau plant bereits die Anschaffung eines Rüden, und hat sämtliche Hunderassen im Katalog voraus gewählt, die ein Verdauungsproblem haben. Diese Sorten kacken mehr als sie fressen, lassen sich aber hervorragend abrichten und kacken auf Zuruf!

Ich will Sie noch auf den Schnee vom Januar ansprechen. Habe alles auf Video aufgenommen vom Dachgeschoss, und darauf gewartet, dass Sie einen Herzinfarkt bekommen beim Schaufeln. Kleiner Tipp: Herzinfarkte lassen sich leicht vermeiden, wenn man mit der vollen Schaufel nicht bis zur Garagentür des Nachbarn läuft, um sie dort zu entleeren. Und noch was: Vielleicht sollten Sie mal an dem Rinnenabfluss von Ihrem Dach eine Änderung vornehmen, dass das ganze Regenwasser nicht meine Stauden unterspült.

Das einzig Erheiternde, das ich bei Ihnen feststellen konnte, sind Ihre Verfolgungsideen einiger Maulwürfe, die seit dem Herbst in Ihrem Garten ihr Unwesen treiben. Jetzt im Frühjahr sehe ich eigenartige Rasenschädigungen bei Ihnen, die darauf deuten, dass Sie Monoxyd eingeleitet haben. Finden Sie nicht auch, dass der halbe Rasen abgestorben ist von dem Zeug? Meine Frau und ich werden darauf eine gute Flasche Wein öffnen und darauf anstoßen. Welch ein Glück mit solchen Nachbarn und Naturfreunden die Nachbarschaft zu teilen.

PS: Der Hund wird Rufus heißen, falls Sie ihn mal ansprechen sollten.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja