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Titel
Beim Friseur
Der Text
Es gibt die Spezialisierten, die gehen nur an Frauen ran. Dann die allrounder, die schnippeln jeden Kopf, bis er das erwünschte Lächeln erzeugt, wenn er das Ergebnis zwanzigminütiger Veränderung im Spiegel zeigt. Ich habe eine Friseurin, die mit mir ein Geheimnis teilt:
die Kenntnis über die Anzahl meiner sichtbaren Haare. Sie stammt aus Italien, redet nicht mit den Händen, da sie gebunden sind durch Schere und Kamm, was mich für sie einnehmen ließ. Ich konnte und kann es mir nach Jahren Schneiderei immer noch nicht vorstellen, wie ein Mensch aus Italien, der beim Sprechen aus 100% Händen besteht auch noch Haare verbiegen kann. Geht aber.

Bei einem ersten Test in ihrem Studio, (früher wurden die Haare beim Friseur geschnitten, und zum Pinkeln ging man nicht in einen Servicepoint), landete ich in einem Halbschalensessel, erwähnte eine Frisur, die ich einmal in einer sechziger Jahre Zeitung sah, und wollte genauso aussehen. Wie damals, nicht wie 60.

Sie legte mir den Latz um, ein taftiges Negligee fremdländischer Produktion, das sich beim leisesten Hauch beim Öffnen der Eingangstür etwas hob, was mich jedes Mal etwas irritierte, da es keinen entsprechenden Antrieb unter der Decke gab, eher Abtrieb.

Der Latz hatte was von Breizeit, als der erste Zahn noch weit im Kiefer steckte und Klein Buckj am Finger leckte. Dann schnürte sie das Binzel so stramm, dass mir die Antwort auf die Frage nach einem Kaffe im Halse eben dort stecken blieb. Ich röchelte etwas von Zucker und Milch, und sie verstand, wie ich die Frisur haben wollte. Mit Beidem. Wir verstanden uns von Anfang an.

Beim Abschnüren der Blutzufuhr passiert es manchmal, dass der Beschnittene von der Beschneiderin in eine Art Wachkoma versetzt wird, die ihn kritiklos macht, und nach Zahlung der Folter, (12 Euro Fuffzich), im Halbschwindel auf die Straße torkeln lässt.

Durch die Zeit waren auf meinem Schädel gewisse Brachflächen entstanden. Durch Stürme der Ehen, durch sauren Regen, und durch Ausreißen bei Verzweifelung durch mich selbst. Während ich neidisch auf etwas Gleichaltriges sah, das noch eine volle Hecke trug, bildete sich meine Kopfhaut ein, auch ohne das Gefussel auszukommen. Als ich vor Jahren einmal eine stundenlange Fahrt auf einem Jeepney auf den Phillippinen hatte, rötete sich das windgepeitschte Haupt wie eine Schnellkochplatte, die auf ein aufgeschlagenes Ei wartete.

Inzwischen hatten sich weibliche Mähnenträger um mich herum niedergelassen. Während beim Manne das Augenmerk auf die eigentliche Beschneidung geworfen wird, kennt das Haupt einer Dame keine Grenzen. Es werden Flitter eingewoben, Pasten eingeschmiert, lockende Töne einmassiert, das Haar in einen Tanz verwandelt, der das Männchen glauben macht, es mit einem außerirdischen Wesen zu tun zu haben, dessen Handynummer im Universum Millionen wert sein dürfte.

Mir wurde schlecht.

Eine Aluminiumentstellte gab sich als meine Kollegin aus, sagte vorher nichts, als sie merkte, das ich sie nicht erkannte. Eine andere Dame gewahrte das Summen einer Haube, das auch noch mit Rotlicht etwas Eros in ihren betagten Alltag brachte, worauf sich bei mir wieder die Decke etwas hob, was an der Tür lag, durch die Jemand herein kam.

Der Kaffee vor mir war unerreichbar wie der Keks. Wer will schon danach langen, wenn über ihm das Dach abgerissen wird?

"Wollen Sie einen Fassonschnitt oder Normal?" Anna stellte mich vor ein Rätsel. Was trug man pflasterwärts auf dem Weg zu einer Hochzeit, zu der man eingeladen ward? Sollte sie die sechs (!) verbliebenen Härchen zu einem Zöpfchen winden, dieses in die Stirn kämmen, nur um Verwegenes zu verleihen? Wie kurz müsste dann Nummer 4 sein? Würde es bei Regen schlapp machen und die anderen im Stich lassen? Ich sagte: "Mach mal!"

Und sie machte.

20 Minuten Nasenhaare und Ohrentflechtung. 5 Minuten für die 6 Aufrechten. Gekappt, betäubt und der Wildnis des Alltags überlassen. Ich fand mich schick nachdem sie das, was übrig blieb, mit einer unter Druck stehenden Dose anfauchte.

Ich kaufte mir in Kapstadt den bekannten Hut. Er schützt mich und die aufrechten 6 vor UV Strahlen, gibt mir ein wildes Aussehen unter Leo gemaserten Fellresten, und macht Mut die letzten Jahre zu überstehen. Mit Anna, die für 6 Haare ebensoviel nimmt wie für 7, 70 oder 7 Millionen.

Irgendwie kann ich mir bald mal selbst die Haare schneiden. Im Spiegel. Spiegelverkehrt. Aber vielleicht ist das ja genau der Ausdruck, der mich davon abhält, und zu Anna trotzdem kommen lässt, vielleicht nur bis mir das letze Haar gekrümmt...
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch