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Titel
Aus einem Künstlerleben
Der Text
Schon am ersten Tag hätte ich es wissen müssen. Es war größer als ich, sah aus wie ein hoch gestellter Sarg auf Rollen, und hinter ihm sitzend auf einem Drehhocker der Tod. Damals war der Tod noch Jungfrau und hieß Frollein Grossmann. Vielleicht tat sie auch nur so, jedenfalls hieß sie Frollein Grossmann, war in den Sechzigern und hatte herunter gezogene Merkel Mundwinkel. Sie gab mir bei der ersten Begrüßung in Begleitung meiner Mutter gleich das Gefühl einer zu Null Niederlage. Ihr Haar war weiß, verschwitzt, und reagierte in der Stirn nicht auf ein Pusten, um die verklebte Locke zu den anderen zu scheuchen. Genauso hätte sie den Flügel anpusten können, der schwer auf dem Parkettboden der Schulaula ruhte, als hätte ihn Beethoven selbst herein geschoben

Meine Mutter drängte mich ein wenig vor in Richtung Bauch der Trainigseinheit, und stellte mich vor als begabtes Kind, dem nur noch das I Tüpfelchen zu großen Auftritten in der Metropolitan Opera fehlte. Quasi der letzte Schliff. Was ich blind konnte war der Flohwalzer, zu dem immer die Katzen kamen, wenn ich beim Opa in der Gaststätte übte. Ohne Noten war ich in der Lage mein Publikum so lange zu faszinieren bis es dunkel wurde, und es sich zu den Mäusen verzog. Ich brauchte keine Noten, hatte Ausdauer und Fleiß …......bis Frollein Grossmann.

Um mir gleich in der ersten Stunde den Nerv zu ziehen, spielte sie mir 5 Minuten aus dem Sommernachtstraum vor, ganz geträumt und nicht einmal auf die Noten geschaut. Auf ihre Frage, was sie noch bei mir verbessern könne, setzte ich mich gerade auf den Drehstuhl, hob die kleinen Hände Richtung Tasten und spielte...... Und spielte...... und spielte eine Scheiße, dass ihr der Schweiß ausbrach. Natürlich musste man Abstriche an meinem Auftritt machen. Die Nervosität neben einer Frau zu sitzen, die nach Kölnisch Wasser roch und Arbeit. Es waren einfach zu viele Flöhe mit im Walzerspiel.

Meine erste Stunde endete gleich mit einer Übungsaufgabe. Sie zeigte mir den Notenschlüssel, und den Unterschied zwischen weißen und schwarzen Tasten. Dann noch die zwei nutzlosen Pedale, an die ich wohl erst in zwei Jahren mit meinen Füßen heran reichen würde. Und dann sollte ich erst einmal eine Etüde üben. Das Wort klingt schon vergiftet. Kein bisschen was Schmissiges, wonach sich Tante Helga mit ihrem kurzen Arno hätte drehen können..... Eine Etüde!

Das erste halbe Jahr roch es jeden Montag in der verlassenen Aula nach Kölnisch Wasser und Angstschweiß. Je mehr ich mich auch anstrengte, desto weiter wurde der Weg zur Met. Im Angesicht ihres Misserfolges bei guter Bezahlung geriet das Frollein regelmäßig aus der Fassung, was einen unmittelbaren Klaps auf meine zarten Hände nach sich zog, was den Flügel mit einer noch unmittelbareren Reaktion zwang. So nicht, würde Beethoven sagen, so habe ich das nicht gewollt und wäre schon zwei Jahre früher taub geworden.

Für eine dreiviertel Stunde Kölnisch Wasser und Handgemenge hätte ich mir 50 Lakritzschnecken, 10 Brühwürfel und noch eine Murmel von Rainer kaufen können, der sie nicht für Geld hergeben wollte. So aber blieb ich mit zusätzlichen Hausaufgaben zu Mathe und Englisch belastet, was auch heute noch im Zeugnis steht, und meine Karriere stark beeinflusst hatte. Wie gern hätte ich Englisch und Mathe gelernt, statt mir einen Wolf auf dem Drehstuhl zu sitzen.
Um dem Ganzen ein Ende zu bereiten, ließ ich kurz nach dem Nachtisch den Satz fallen, der mein Martyrium beenden sollte. "Die Grossmann schlägt mich!"

Nun gehört zu einem Klavierunterricht ziemlich viel, nur nicht Prügel. Um meine Anklage zu überprüfen, verabredete ich mit meiner Mutter, dass sie sich hinter den Aula Vorhang stellen möge, und so die Szene belauschen könne. Wie abgemacht kamen wir etwas verfrüht, nahmen unsere Positionen ein, und die Vorstellung begann. Es dauerte nicht lang, als der erste schräge Ton dem gequälten Flügel entsprang, da das Frollein mal wieder ihre Patschen nicht im Griff hatte.....

Mein Kronzeuge der Anklage sprang hinter dem Vorhang hervor, nahm sich die völlig irritierte Fettbacke zur Brust, und verließ mit mir und meinem heimlichen Lächeln die Arena.

Was aber nichts an den Zensuren in Englisch und Mathe ändern sollte. Eine Hoffnung wie viele, die im Leben sich nicht erfüllt.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein