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Titel
Aus der Schule
Der Text
Mein Platz war immer in der ersten Reihe. Egal in welcher Klasse ich mich befand, setzte mich jeder Klassenlehrer grundsätzlich nach vorne. Das mag auch daran gelegen haben, dass er mich sonst gar nicht gesehen hätte. Das Wachstum, das den Mädchen vorbehalten war, kam bei mir anfangs gar nicht erst an. Legte ich meine Arbeitssachen auf das Pult vor mir, sah es eher so aus, als täte dies ein Geist. Meldete ich mich zu Wort, geschah dies in einer Höhe, in der andere ihre Spickzettel im Hemd versteckten. Nur durch eine konsequente Ernährung mit Spinat und Lebertran, am Sonntag auch mal ein Hühnerbein, wuchs der kleine Blonde langsam aber stetig zur normalen Größe.

Es gab "Lieblingslehrer". So zum Beispiel der Biolehrer. Sein Prinzip: Alles an die Kreidetafel schreiben, Wichtiges unterstreichen und alles abschreiben lassen. Er war und blieb klein von Wuchs, stellte sich immer auf einen Holzschemel mit drei Beinen und schrieb. An einem verhängnisvollen Tag kippte der Schemel beim Thema Kreidezeit und ihre Tiere, und mein kleiner Freund lag wie ein Maikäfer am Boden. Alle lachten spontan aber nur kurz, bis auf einen. Vielleicht hätte ich nicht Tränen in den Augen haben dürfen vor Schadenfreude, und im Kollektiv aufhören sollen. Stattdessen lachte ich einfach weiter, selbst als er schon Kurs auf mich genommen hatte. Er verprügelte mich nach Strich und Faden, so dass sogar eine der großen Schülerinnen dazwischen ging und uns auseinander zog.

Der Musiklehrer hatte ein ausgezeichnetes Gehör. Dies hätte ich bedenken sollen, als ich mich im Schutz von 40 Mitsängern wähnte und bei der Textzeile..."Zogen einst 5 wilde Schwäne, Schwäne leuchtend weiß wie Schnee..." anstatt Schwäne "Schweine" sang. Vom Schulchor ausgeschlossen fehlte diesem fortan das gewisse Überraschungsmoment, das aus einem bekannten Text ein frisches, kreatives neues Lied entstehen lässt, dessen Sinnhaftigkeit dem Leben eine besondere Note gibt.

Die Englischlehrerin mit dem Vornamen Thusnelda trug ihn sicherlich nur wegen des "Th" am Anfang, ohne das im Englischen ja mal gar nix läuft. Sie griff meist tief in ihre Wertungsliste,die bis 6 reichte, wenn es um eine meiner Klassenarbeiten ging. Wenn mir damals einer gesagt hätte, dass ich diese Sprache einmal fließend beherrschen würde, den hätte ich auch ausgelacht wie den Biolehrer. Später besuchte ich die Insel mehrfach, the lakes, the dales, the moores, und empfand plötzlich große Sympathie für das Einfache ihrer Sprache. Wer wallpaper, (also Mauerpapier), zu Tapete sagt, dem fehlen die Worte wie mir damals, um drauf zu kommen.

Der Rektor war der einzige, der mich grüßte. Ich stand ja auch häufig vor seiner Tür. Wir kannten uns. Immer wenn es eine erzieherische Maßnahme gab, und der Lehrer bei mir am Ende des Lateins war, wurde ich auf diesen endlos langen leeren Gang geschickt, auf dem ich mir überlegen konnte welches Thema wir beide heute anschneiden sollten, um dem Tag einen fröhlichen Anstrich zu geben.

Heute stehe ich zehnmal im Jahr vor einer mehr oder weniger großen Zahl Menschen, um ihnen vorzutragen was sich damals zugetragen hat. Und da ich genau weiß wie es aussieht wenn einer einschläft, bemühe ich mich dem entgegen zu wirken. Ein Schwein aus einem Schwan zu machen, und das Wichtigste im Leben nicht zu unterschätzen: Das Lachen.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein