Der Text
Hast du jemals die Namib gespürt, warst über ihre Unaufgeräumtheit entsetzt, über das dreckige, unansehnliche Gerümpel, die verstreuten Felsen, den schmutzigen Sand bis zum Horizont? Und war da nicht doch eine Bewegung, ein Auge, das nach dir spähte, abschätzend, ob du fressbar bist? Ein Schatten war es, ein Huschen über den herdplattenheißen Sand, der eher Glassplittern gleicht, als dem in den Urlaubsprospekten.
Unwillkommen stehst du da, unbegrüßt nachdem die letzten Zäune neben der schnurgeraden Straße außerhalb Windhoeks erst immer baufälliger werden, dann ganz verschwinden. Nur noch du und die Straße und der körnige Wind. Hier lässt es sich schneller sterben als leben. Schnell besteigst du wieder dein Auto und lässt das Radio laufen, das selten weltfremd klingt gegenüber dem da, was du siehst.
Die Fahrt schläfert dich ein, da es keine Kurve gibt, da es nicht einen Grund dafür gibt, um etwas herum zu bauen, was nicht vorhanden ist. Ab und an fährst du langsamer, um es zu glauben, dass etwas besteht aus endloser Einöde, aus der selbst das Echo unterbleibt. Ein trockener Wind bläst beständig und versucht, den Wagen über die steile Kante der Straße zu drücken. Aber du bemerkst seine Bemühungen, steuerst dagegen und behältst deinen Fuß auf dem durchgetretenen Pedal.
Aus den Büchern weißt du, dass die Wüste lebt. Aber wo? Hat sie sich aus Verzweiflung nicht längst selbst gefressen und sich wieder ausgespien? Stammen daher die Felsen? Wie tief muss man sich eingraben, um das nicht sehen zu müssen, um nur dann wieder nach oben zu kommen, um in der Flimmerglut etwas Brauchbares zum Fressen zu finden? Es müssen Künstler sein, die hier leben. Deren jeder einzelne Herzschlag wohl überlegt erfolgt, die nichts verschwenden, außer einmal ihr Leben.
Alles Gelesene kannst du hier wieder finden, doch nichts ist gegen das Erleben, das dich durchdringt mit ihrer Trockenheit, die deinen Schweiß aufsaugt. Wenn es dann soweit ist, dass du wieder auf Menschheit triffst, sind es wieder die beginnenden Zäune, die langsam wieder aus dem Sand auftauchen wie ein verlorenes Wrack, brüchig und unvollkommen zuerst, dann aufrechter. Und dann kommt Swakopmund. Am Meer liegend im Westen. Bis dahin fährst du, und erfährst nicht einmal dort eine Linderung gegen die Hitze. Das Meer ist kalt wie Eis, der Strand in Dunst und keinesfalls erfrischend. Eine weitere Barriere gegen dich, der versucht, das alles zu verstehen. Vielleicht an der Bar in Kückies Pub, wo man es versteht ein gutes Bier zu trinken aus der Kaiserbrauerei um die Ecke. Eine kleine Erinnerung an Deutschland Kolonialmacht, im Hintergrund um 8 Uhr die Nachrichten in Deutsch natürlich, seltsam ohne Akzent in heimatferner Nähe. Es ist Zeit zu Schlafen. Im Schlaf fahre ich weiter....
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Anmerkungen zur Sahara
Überfliegen ja, durchfahren nein. Dass es ihr gelingt, selbst in 12 km Höhe zu mir zu kommen, ich hätte es nicht geglaubt. Kalkweißes Licht durchdringt den kleinen Spalt der herunter gezogenen Sichtblenden der Flugzeugfenster, die komplett alle Fluggäste benutzen.
Der feine Spalt fällt, wie von einem Schweißbrenner erzeugt, über den Sitz des Vordermanns her, als wollte er ihn zerschneiden. Neugierig öffne ich die Sichtblende und kneife die Augen zusammen. Unter mir nichts als milchige Luft und diffuse Sicht bis zum Boden, der sich wellig zeigt, als übflögen wir das Watt. Einmal war es ja eines, einmal vor langer Zeit. Heute ist nicht einmal der Gedanke an Wasser, das sich länger als eine halbe Stunde halten könnte dort unten. Weder Spuren eines Weges, noch Änderungen in der Landschaftsstruktur sind erkennbar.
Bis man den Punkt erreicht hat, wo die Sahara einsetzt wie ein plötzlich ausgebrochenes Fieber, ist üppiges Grün des Regenwaldes unter uns. Eine andere Art der Wüste. Die fehlenden Wolken, der gleichförmige Nebel, das Ausgeschwitzte einer aufgebrauchten Atmosphäre, die vergebliche Suche nach Orientierung, keine Oase, oder doch dort hinten? Ist da nicht etwas, das sich abhebt vom Nichts? Eine weitere Täuschung, von denen die Sahara ein paar auf Lager hat.
Dem verstorbenen Kamel wird es dessen Todestag gewesen sein, den Verwertern ein Glückstag. In Wüsten wird alles vererbt. Ohne Vertrag fällt dem das Erbe zu, der an erster Stelle ist. Sie tötet das Unvorsichtige, das Gleichgültige, das Bedenkenlose, macht keine Unterschiede in den Blutkreisläufen ihrer Durchquerer. Durchkreuzt Hoffnungen, zieht zu sich, was im Sand versinkt bis zum Hals und darüber. Aber nachts, nachts ist sie ganz anders. Da spendet sie Frieden in reichlich Überfluss. Lässt Sternlicht den Glitzersand aufleuchten wie zum Fest. Und frieren.
Hat den Mond zum Gehilfen, der mit ihr plötzlich zum Bruder wird mit ganz ähnlichen Gesichtszügen, dass man sie für Zwillinge halten könnte. Das Tote, das von einer Sonne erfolglos bearbeitet wird, weil zum Leben außer Wärme und Licht eines gehört: Wasser.
Längst verschwendet durch wen oder was auch immer. Es gibt Theorien. Die Sahara arbeitet mit Praxis. Sie fragt nicht, sie ist. Und wer sie durchwandert, der wird aus ihr kommen und nicht mehr so sein wie zuvor. Alle Traurigkeit im Überbevölkerungsbereich der Zivilisation trägt Gesichtszüge. Sie trägt nichts. Ist nackt und entkleidet. Macht alles ihr gleich, dass am Ende eben das sichtbar bleibt, was ich aus 12 km Höhe erkennen kann:
Milchigen Dunst mit Wellen, die einst vom Meer zu stammen scheinen.