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Titel
Öffnen Sie den Koffer!
Der Text
Grenzkontrollen gehören zu den Ereignissen, die auf einer Stufe mit Zahnarztbesuchen, mit der Wahrnehmung eines Polizeiautos im Rückspiegel, oder mit der Rückgabe einer Klassenarbeit stehen. Federführend stets das schlechte Gewissen etwas falsch gemacht, oder sogar gegen Gesetze verstoßen zu haben. Dieses Gefühl beschlich mich im frühen Jahr der 80er. Kurz nach Wiederkehr aus dem Asienurlaub im März lag in meinem Dienstfach die Abordnungsverfügung zu einem Lehrgang in Luxemburg. Für 14 Tage sollte ich geschult werden, für 14 Tage packte ich alles in den Koffer, was man so braucht. Der Koffer war ein Relikt der 1920er Jahre, und noch haltbar mit den zwei Rostverschlüssen und der abgeschabten Außenhaut. Vor seiner Entsorgung wollte ich ihm noch einen letzten Blick auf die schöne Welt gönnen.

Der Ort Wasserbillig war und ist ein Grenzort, der damals noch vom Zoll kontrolliert wurde. Empfangen wurde ich von einem uniformierten Beamten, dem ich freundlicherweise das Fenster öffnete, um mir seine Standardfragen anzuhören. Es war an diesem Tag fast kein Verkehr, so dass ich in ein unterbeschäftigtes Gesicht schaute, das die aufblitzende Neugier auf den Ankömmling nur schwer unterdrücken konnte. Erinnern kann ich mich noch an seine buschigen Augenbrauen und seinen Slang, einer Mischung aus "Mainz wie es singt und lacht", und französischem Rezept in der Audiothek. Ich reichte ihm zur Beruhigung meine Papiere, die mich als Jungmann zeigten von 1968. Ein schmutzig grauer Lappen aus Altleinen, verrosteten Nieten, und mit einer Krakelhandschrift des Ausstellers.

Es war wohl das Gesamtbild, das ihn dazu brachte, mich unter die Rubrik "Sehr verdächtig" einzustufen, und mich zum Aussteigen aufzufordern. Erst jetzt konnte er meine für diese Jahreszeit untypische Bräune bemerken, meine gute Laune, und mein Frostzittern in der kalten Luft als weiteren Beweis seiner Vermutung ansehen, dass es sich um einen Drogenschmuggler auf Entzug handeln musste. "Öffnen Sie den Koffer!" Er zeigte auf Rosti, der unschuldig auf dem Beifahrersitz lag. Es gab Tage, da ging er sofort auf, und heute. Es gab Stellen zu drücken, die nur ich kannte, und es gab den Moment, wo meine Geduld am Ende war, und ich ihn einfach auf den Boden warf.

Der Zöllner sprang zur Seite, frische Herrenwäsche suchte das Weite, und nur der Kulturbeutel blieb noch im Innern. Das Ganze war grenzwertig. Die Augenbrauen des Gesetzes hoben sich, während ich einsammelte, um alles wieder einzuladen. Bis auf den Beutel hatte er ja schon alles gesehen. "Was ist in dem Beutel?" sprach "Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht." Ich öffnete den Reißverschluss und schloss ihn sofort wieder, kaum dass er ins Dunkel geschaut hatte. "Alles raus auf den Sitz!" Nur keine langen Sätze, klare Anweisungen! In der Gewissheit ganz bestimmt nichts zu verheimlichen schüttete ich Zahnpastatube, Bürste, Aftershave und alle Medikamente auf den Sitz, die ich seit Asien noch nicht ausgeräumt hatte.

Was wollte ich mit einem Malariamittel in dieser Jahreszeit in Luxemburg, was mit Sonnencremes mit Schutzfaktor 50 bei Frosttemperaturen und schlechten Aussichten? Ich gab mich als Flugsicherungsmitarbeiter aus, der auf Lehrgang geschickt wurde, und erst gestern aus Bangkok in Europa gelandet sei. Je mehr ich ihm die Wahrheit aussprach, desto verdächtiger wurde meine Story. Immerhin stand das Mittel nicht auf der schwarzen Liste, es galt also weiter zu forschen. Im Handschuhfach, in das er fast zur Hälfte eintauchte, fand er das Büchlein. Ein Taschenbuchratgeber über Alternativmedizin; rein biologisch im heimischen Garten mit dem Titel "Welche Blüten sind essbar?" Der Verdacht auf Blüten lenkten sein Beamtengehirn auf eine andere Spur. Er begann jetzt Seite um Seite umzublättern, schüttelte erst vorsichtig, dann immer heftiger......bis sie herausfiel.... Eine Enzianblütenpressung als Lesezeichen. Ob diese Pflanze nicht zu den geschützten Arten gehören würde, wollte er wissen, während ich mit dem Kopf schüttelte und selbst daran glaubte, dass er Recht hatte. Zur Inhaftierung reichte es an diesem Tag wohl nicht, wohl aber zum Versauen seiner Laune allemal.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein