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Titel
Zaunkönige
Der Text
Als plötzlicher Besitzer von über 1000 Quadrat Garten weiß man gar nicht, wo man zuerst anfangen soll. Da steht ein Tannenwald, von außen grün, von innen hohl, und Gras, das unbeobachtet über die Zeit wachsen durfte....Der Zaun zur Rechten zeigt Ermüdungserscheinungen, der zur Linken ist korrekt verdrahtet und ausgerichtet, unkrautfrei. Der Zaun zu Willy, meinem Nachbarn, der auch einen Garten hat. 10x so groß wie meiner. Rechts wohnt auch ein Willi, aber mit I. Ein Kriegsveteran, dem die Flucht gelang, damals im großen vaterländischen Krieg.

Nicht dass ich im Gärtnern total unerfahren bin. Ich weiß, dass Kartoffeln in die Erde gehören, nicht an Drähten gezogen werden, und dass man Zwiebeln nur zur Hälfte einbuddelt. Sie müssen atmen können und die Kirchenglocken hören, wie Willi sagt, der mich dabei beobachtet, wie ich sie versenke. Er sagt dann nicht, nur zur Hälfte, er sagt immer: dat watt nix, dat watt nix. Ich frage dann immer: wie wird’s denn richtig?

Manchmal, wenn ich es allzu optimistisch treibe, zum Beispiel mit dem Teich, (8m x10m), da wo der Wald nicht mehr steht, schaut Willy herüber und sieht, wie ich die 0,3mm starke Folie verklebe. Kaltkleber bei Windstärke 8. Er trocknet schnell, und Willy sagt: Dat watt nix! Wirst ja sehen, sage ich, und glaube selbst nicht dran. (Hält bis heute). Der andere Willi sagt nie viel, ist mit sich selbst beschäftigt und seinem Schuppen, in dem er Kriegsbeute versteckt. Alte rostige Schaufeln, eine Harke mit nur noch 4 Zinken, die anderen blieben im Graben bei Stalingrad, abgefressene Meisenringe und Samentüten bis zum Dach. Er isst aus einem Blechgeschirr vor der Haustür nach hinten, wie damals noch. Mit ihm tausche ich Erfahrungen aus. Kriegserfahrungen. Jetzt kämpft er wie alle gegen Giersch, ähnlich dem Ziegenfuß, aber schmackhafter, wie er sagt, gegen Franzosenkraut, gegen die er auch gekämpft hat im ersten Weltkrieg.

Konnte sich der Vater nicht absetzen? fragt er. Ich sage über den Zaun, dass die Russen ihn umzingelt hatten in Ostpreußen und er keine Harke hatte, sich zu wehren, wie er.

Zwischen Willy und Willi bin ich, und zwischen uns Dreien ist von Anfang an ein großes Vertrauen. Von beiden Seiten bekomme ich kluge Ratschläge, die ich fast alle in den norddeutschen Wind schlage, da ich selbst Erfahrungen sammeln möchte. Irgendwann komme ich mit einer Riesengurke aus einer Plexiglasgaube. Ein Eigenkonstrukt, von dem ich jedem rate, es nicht nachzubauen. Donnerwetter! sagt Willy. Gut, dass ich die Folie von Aldi vorher entfernt hatte. Die Jahre gehen dahin wie die ausgesäten Möhren, (Möhrenfliege, später Wühlmaus), und Tomaten mögen keinen deutschen Sommer.

Aber wenn mal was gedieh, dann schmeckte es nach etwas anderem als nach Holland oder Puertorico, es schmeckte nach Arbeit. Bekanntlich süß, wenn man es richtig beurteilt, und seine Nägel am Abend wieder weiß bekommt. Obwohl Willy sagen würde:

Mit d e r Bürste? Dat watt nix!
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch