Text 529/645

Titel
Stimmung am Abend
Der Text
Bevor sie unterging, wie man sagt, malte die Sonne den Tag nach wie ein Künstler, der noch schnell eine letzte Idee in die Tat umsetzen musste. Ein Zeichen setzen, das aus diesem ein besonderer Tag wurde.

Zwischen den aufziehenden Wolken weit draußen blinzelte sie wie ein bettelnder Hund unterm Tisch verbotener Weise um ein Häppchen, das nicht satt machte, aber als Belohnung empfunden wurde. Auch ich blinzelte jetzt in sie hinein, fürchtete nicht mehr ihr grelles Antlitz, und beobachtete die Ränder der Wolken. Innen schwarz bis dunkelgrau, doch am Rand leuchteten sie auf, als stünden sie kurz vor dem Besuch einer Fiesta, kurz davor auf die Straßen hinaus zu gehen, wo alles hin strebte am Abend. Ein bauschiger Rocksaum um den Körper einer Schönen, die alle Blicke auf sich zog und das auch so wollte.

In unseren Breiten hat man Zeit das alles zu beobachten, doch in Äquatornähe geht das ganze viel schneller. Nicht einmal die Zeit zum Wechseln des Filmes blieb mir. Zahlreiche Bewohner und Touristen hatten sich auf diese Momente eingefunden. Dem Strand vorgelagert war eine kleine Vogelinsel. Ein paar Felsbrocken von der Flut vergessen, von Gesträuch bewachsen, und einen Bogen beschreibend, der den Blick auf den scharfen Horizont frei ließ. Und eben dort bemühte sich die Sonne genau um 18 Uhr zu setzen, und schnell wie ein torpedierter Frachter zu sinken. War es hier in Europa ein Glutball in Fußballgröße, dann dort ein mittelgroßer Kürbis, der genau in die Lücke zwischen den Brocken passte. Für einen Moment glaubte ich, dass sie sich so eingezwängt nicht wohl fühlen konnte, und sich beeilte aus der Enge heraus zu treten. Jetzt flogen Vögel mit großen Schwingen auf, um ihre Schlafplätze anzufliegen auf der größeren Insel. Nein, es wären Flughunde, flüsterte ein Mann neben mir.

Die meisten schwiegen oder flüsterten, sahen dem Schauspiel aufmerksam zu wie bei einer Premiere, die doch allabendlich hier aufgeführt wurde. Nur mit anderen Darstellern, den Wolken. Daheim schaute ich auf die Bilder und war enttäuscht. Nicht von ihrer Farbe, ich war enttäuscht von der fehlenden Stimmung ringsum. Als hätte ich nur den Hauptdarsteller fokussiert und abgelichtet. Dabei war die Geschichte dahinter nicht zu sehen, nicht zu fühlen oder auf den Lippen zu schmecken.

Ein Bild, es war nur ein Bild.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein