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Titel
Tapioka
Der Text
Der Bauernhof lag weit entfernt von der nächsten Stadt, seine Betreiber waren seit Jahr und Tag aus einer Familie, und wenn sich etwas ändern sollte, dann gewiss nicht an den Zuständen am Hof. Kühe und ein paar Schweine waren das Kapital. Über 20 Kühe standen in Reihen und kauten gleichmütig das, was ihnen vorgesetzt wurde. Sie machten Arbeit. Viel Arbeit. Sie bekamen Junge, viele Junge, und auch die machten Arbeit. In der Nachbarschaft wuchs Peter heran. Seine Eltern hatten die Idee, ihn für einige Zeit in den Ferien auf dem Hof mit helfen zu lassen, damit er eine Ahnung davon bekam, was Leben heißt.

Später traf ich ihn, und er erzählte mir seine Geschichte aus dieser Zeit.

"Du musst dir vorstellen, wie das war. Ich komme da auf diesen Hof als junger Mensch, der gar keine Ahnung hat außer der, wie man Holz schlägt aus dem Wald, oder ganze Nachmittage über den Schulaufgaben hockt. Was wusste ich denn schon über Kühe, die auf den Weiden nichts anderes taten als Fressen und Scheißen... Ok. Sie gaben Milch, die verkauft werden konnte, und wenn sie keine mehr hatten, wurden sie selbst verkauft. Anfangs wurde ich eingewiesen. Kehrte den Mist heraus, gab ihnen Futter. Es war anstrengend, das kannst du mir glauben.

Der Bauer und die Bäuerin waren streng, aber nicht ungerecht. Sie hatten am Tisch einen rauen aber herzlichen Ton, und behandelten mich fast wie den eigenen Sohn. Ich fühlte mich aufgehoben und wertgeschätzt. Wenn da nicht der Knecht gewesen wäre. Ein buckliger Typ, der irgendwo innerhalb der Stallungen untergebracht lebte, und regelmäßig seine Launen am Vieh ausließ. Mittlerweile auch an mir, der sich natürlich nicht traute etwas zu sagen. Werder daheim noch bei der Familie. Das fing beim Fegen an, bei dem er sich über meine Besenhaltung beklagte, und daran, wohin ich das Zeugs schob. Steckte ich mal mit den Gummischuhen im Dreck fest, zeigte er das einzige Grinsen seit Tagen in einem sonst finsteren Gesicht.

Er brüllte die Kühe an, und schob die Schweine grob zur Seite, wenn sie ihm im Weg waren. Eines Morgens, der Knecht war auf der Seite direkt hinter einer Kuh beschäftigt, nahm ich etwas von dem Mehl, das aus einem Papiersack ins Tierfutter gemischt wurde. Ich weiß noch, dass es Tapioka Mehl war, so ein ganz feines Zeugs. Ich streute davon etwas in Richtung der riesigen Nasenlöcher, durch die es anscheinend gierig aufgesogen wurde. In der nächsten Sekunde holte die Kuh sehr tief Luft und bekam einen Niesanfall, der wiederum hinten folgenschwere Auswirkungen hatte. Ihr Furz war weithin hörbar, und mischte sich mit dem Schrei des Knechts, der eine volle Ladung abbekam.

Heute denke ich noch manchmal an die Genugtuung. Sie machte manche Stunde Schimpferei wieder wett."
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja