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Titel
Tanah Lot
Der Text
Längst sahen wir Bilder eines religiösen Tempels auf der Insel Bali. Lange noch bevor wir eines Tages tatsächlich in unmittelbare Nähe dieses Werkes einheimischer Bauherren kamen, und es zum Greifen nah vor uns hatten. Zwischen der winzig kleinen Insel und hoch oben thronte der religiöse geheimnisvolle Tempel Tanah Lot. Ein aus diversen Ebenen hoch aufgerichteter Bau gen Himmel, der nicht weit vom Ufer Touristen aus allen Ländern magisch anzog. Sie kamen und staunten wie auch wir, mein Kollege und ich, die schon diverse Fernausflüge hinter sich hatten. Wir saßen am Rand der steil abfallenden Abbruchkante mit Blick auf Tanah Lot, das sich eine vornehme Distanz zur Hauptinsel gönnte, nur von den Gezeiten getrennt, die den Fußweg hinüber beeinflussten. Bei Ebbe sollte man auf giftige Seeschlangen achten, die das warme Wasser um die Felsen bevorzugten, und schwarz braun geringelt mit einem Biss beim Fehltritt bestraften.

Wir lauschten den sich brechenden Wellen zu Füßen des aufgerichteten Fundaments aus nacktem Fels und schwachem Wildwuchs, in dem sich eine Affenherde gegenseitig jagte, und auch sonst die Herrscher hier zu sein schienen. Regelmäßig belagerten sie Touristen, indem sie den eindringlich zuvor Gewarnten ihre mitgebrachten Bananen abnahmen, und das durchaus böse und aufdringlich. Wir hatten gar nicht vor uns auf die kleine Anhöhe zu begeben, unter das Bambusdach zu schauen, nur um hier gewesen zu sein, sondern erfuhren von Insidern, dass der Ausblick von hier erst die wahre Schönheit zeigte. Und ja, wir machten zahlreiche Fotos, auf denen die untergehende Sonne gegen 18 Uhr ein Farbspektakel der so besonderen Art vollführte, das einen selbst zum Schweigen flüsterte.

War hier der magische heilige Ort, der den Menschen zu sich selbst zurück führte, diejenigen, die auf Abwegen der zivilisierten Zeit etwas ganz wichtiges nicht mehr spürten? Das Innere des Kerns ihres Seins? Für uns war es wichtig rechtzeitig einen neuen Film in die Kamera einzulegen, möglichst das Farbspiel zwischen Tempel, Sonne und Meer festzuhalten, um es daheim jenen zu zeigen, die wohl niemals hier sein würden. Man kann darüber streiten, ob man es gesehen, gefühlt haben muss, und doch zählen diese Momente da am Steilhang zu den ganz besonderen.

Und es zeigt, dass manchmal eine gewisse Distanz erst zu der guten Erkenntnis bringt, worin das Wesen liegt, das an den Kern heran führt. Vielleicht ist es ja auch so wie mit einem Gemälde, das aus gewisser Distanz das zeigt, was man ganz nah dabei nur als Punkte und Striche wahrnimmt.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein