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Titel
Stay Friends
Der Text
Bei den heutigen Möglichkeiten Schulfreunde wieder zu finden aus längst verloren geglaubten Tagen, machte ich mich auf die Suche im Internet. Eine Möglichkeit sollte es geben über das Portal Stay Friends. Als Mitglied, das man zuvor werden musste, fand ich schnell den Pfad zu jenen, die wie er, die Schulbank drückten, und so manches Mal drückte sie härter noch zurück. Über ein Foto, einen männlichen Namen, war ich erfreut gestolpert, so so, es gab ihn also noch, den Hagen mit dem ich manchen Schabernack ausgefressen hatte. Ich wurde neugierig, bis zu jenem Tag, als ich den Versuch startete Hagen wieder zu sprechen, vielleicht zu treffen?

Schließlich fand ich eine Telefonnummer in einer Klinik, die sogar in meiner Stadt lag. Hagen hatte sogar eine Sekretärin! "Ja, der Herr Doktor ist gerade im OP. Was darf ich denn ausrichten?" "Sagen Sie ihm, dass ich angerufen habe, und mächtig drauf aus bin auf ein Wiedersehen nach 45 Jahren!" Sie notierte sich meinen Namen. Ich wartete also auf eine Stimme aus dem fast Jenseits und war gespannt, wie sie heute klingen würde nach dem Stimmbruch damals.....Er hatte also Karriere gemacht und bestimmt einen Haufen Kinder mit einer lieben Frau und Garten.

Hagen und ich waren damals unzertrennlich, schrieben gekonnt voneinander ab, und ärgerten die Mädchen mit ausgeheckten Streichen, die gerade einmal so weit gingen, dass eine Tracht Prügel unterblieb, und manchmal sogar eine gewisse Heiterkeit auslösten, wie die Sache mit dem Zellophanpapier auf dem Damenklo. Einer von uns bewachte es für kurze Zeit, während der andere zwei Bögen übers Klo spannte, indem er sie unter dem Brillenrand fest klemmte.....

Soeben noch schmunzelnd bei diesen Gedanken klingelte mein Telefon.....

"Mein Gott, wie die Zeit vergangen ist, und was machst du den Tag über?" Wir tauschten die üblichen Fragen gegen Antworten, und verabredeten bald ein Treffen, genauer gesagt heute um 14 Uhr in seinem Büro. Mir passte es prima, und er hatte Feierabend. Etwas aufgeregt gelangte ich durch die Gänge, die ich freiwillig lieber mied, auf die Station von Hagen. Chirurgie Männer, zweiter Stock rechts.

Seine nette Sekretärin ließ mich kurz warten, und öffnete mir dann die Tür zum hellen Raum mit Schränken voller Bücher, Regalen und einem Schreibtisch. "Hallo, alte Salatschleuder!" Hagen hatte seine Stimme behalten, und offensichtlich auch seine gute Laune. Er trug einen weißen Kittel, weiße Schuhe, und grinste mich breit an. Statt mich zu umarmen, gab er mir seine rechte Hand. Ich drückte sie, wie man eine Hand nach 45 Jahren drückt. Herzhaft eben. Mit der anderen schlug er mir auf die Schulter, dass es staubte.

Dann ließ er sie los. Wohlgemerkt die Hand, nicht meine...... Es war offensichtlich eine Präparation aus einem der Schaugläser auf den Regalen, die er unterm Ärmel festhielt.......Feucht, kalt und sehr weich....

Es gibt nicht viel, was mich sprachlos macht, dieses Erlebnis gehört aber durchaus dazu. In einem Reflex warf ich sie ihm wieder zu, so wie man einen Ball zum Mitspieler passt. Er fing sie auf, und steckte sie wieder ins Glas. Nach dem gesprächsreichen Wiedersehen ging ich nach Hause und löschte meinen Account bei Stay Friends. Von einigen Mitgliedern wusste ich, dass sie tot waren. Ich fürchtete aber, dass sie den Hörer abnehmen könnten, wenn ich wieder Kontakt aufnehmen wollte.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja