Text 507/624

Titel
Spätsommerabende
Der Text
Werden nicht die Sommerabende schon merklich frisch, enthoben ihrer sommerlichen Unbeschwertheit? Sind sie nicht wie ein abgelegtes Kleid, das man nur tags trägt? Fast unbemerkt schiebt sich der Herbst zwischen die unausgesprochene Abmachung unter den Jahreszeiten. Der ach so sommerliche Sommer seiner Majestät Unerträglichkeit darf klopfen, ob ihm noch geöffnet wird? Hat der Körper sich nicht satt gesoffen an kalten Badeseen, an schäumendem Weizen im Glas? Die abendlichen Wolken ziehen unbetroffen ihre Bahnen ins Dunkel. In der Nachbarschaft quengelt ein Kind. Morgen ist Altpapier, die Tonne längst draußen, die Blätter mit Nachrichten von Gestern liegen wertfrei übereinander.

Es ziehen schwarze Vögel vor blutrotem Himmel zu den Schlafplätzen in den Ebereschen am Fluss.
Wovon träumen sie? Können Vögel träumen oder nur sein? Mit etwas Neid beobachte ich ihre Schwerelosigkeit, wie sie mit den Luftströmungen umgehen. Von der Straßen gegenüber höre ich gedämpfte Fahrgeräusche. Ein immerwährendes Rauschen, das nicht abschaltbar ist. Der rote Südafrikaner ist trocken, das Glas von außen beschlagen.

Wenn mich jetzt einer fragen würde, wo es zum Herbst geht, ich würde ihm sagen: Hier lang, aber setzen Sie sich doch und hören Sie zu. Welche Geräusche ich dieser Jahreszeit zurechne bestimmen jene Vögel, die sich aufmachen nach Süden. Da sie den Herbst spüren, lesen, verstehen, da er sie auffordert zu fliegen. Dahin, wo es noch Sommer gibt und mehr davon. Der Weg wird sich lohnen, sonst würden sie nicht ziehen.

Es wird merklich frisch. Zeit für eine Jacke zum Bleiben, Zeit die Nacht zu begrüßen.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch