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Titel
Aus dem Tagebuch eines Tanga2
Der Text
Im sündhaft teuren Preis des 4 Sterne Hotels in Heringsdorf an der Ostsee enthalten war u.a. ein Ganzkörperpeeling und eine Jojoba Quark Packung, im Wasserbett schwebend - unberuhigt. Ich fürchtete schon bei der Buchung meine sofortige Wiedereinschulung nach der Verjüngungskur. Der Prachtbau lag direkt am Weg zum nahen Strand, strahlte das typische Flair vergangener Kaiserzeit aus, und wartete durch sein geöffnetes Maul in Form einer riesigen Glastür, aus dem ein roter Flauschteppich wie eine Zunge leckte, auf Gäste.

Die ersten Tage verflogen in den heißen Sommerwochen 2006 wie die Illusion, um die Kurtaxe herumzukommen. Der Luxus entwöhnte Körper hatte sich langsam an das 4 Sterne Essen gewöhnt. Die ersten Urlaubseffekte traten auf. Völlige Entspanntheit beim Landen einer der vielen Wespen auf meinem Marmeladentoast. Ich ließ sie durch meinen Blick hinrichten. Sie bekam Zucker und verstarb Tage später in einer Kurklinik.

Gleich zu Beginn der Woche wurden die Termine gebucht. Für mich z.B. am Mittwoch ein Ganzkörper Peeling, das ich nach Durchsicht der Hotelgäste einer älteren Dame schenken wollte, die sich über glatte 25 Jahre geschenkter Jugend sicher mehr erfreut hätte. Das Extra war aber nicht übertragbar, ähnlich wie die Jugend.

Meine Kenntnisse über Peeling bewegten sich zwischen Kernseife und Waschlappen, Zinkwanne und Samstagabend, wenn Mama heißes Wasser nachschüttete. Mit diesen so fernen Gedanken beschritt ich den Weg im geräuschlosen Aufzug nach Unten, wo die Schönheitsabteilung auf ihre Falter und Faltigen wartete. Mir kam sogleich eine 12 Jährige entgegen, die ich abends zuvor noch mit einem 60 Jährigen Arm in Arm an der Bar gesehen hatte. Ich erschrak ob ihrer Verjüngungskur und schloss die Augen für einen Moment.

Die Räumlichkeiten waren mit feinsten kleinen Fliesen ausgestattet, verwirrten meine Sinne, und ließen mich vor einem Tresen halten, hinter dem Sabine wohnte. Die Dame, die sich mit den Körpern der Menschen besser auskannte als sie selbst. Sie trug das kurze Weiße, und ich nannte sie heimlich sofort: "Jawohl Frau Doktor". Sie sprach mich mit meinem Nachnamen an, als hätte ich ihn auf die Stirn gemeißelt.

"Bitte entkleiden Sie sich vollständig dort!"

Ihr Zeigefinger, das Muster einer Thüringer Bratwurst mit Nagellack, zeigte auf eine kleine Nische, in die ich mich begab. Es war eine Umkleidekabine ohne Wände oder Türen, nach oben ebenfalls alles offen. Nur nach unten abgeschlossen durch die besagten Fliesen, auf die ich mich zögernd stellte. Auf einem kleinen Hocker lag etwas Schwarzes, das ich Frau Dr. Sabine sogleich apportieren wollte, als ich hörte:

"Ziehen Sie das da an!"

Wie ein Bauer, der das erste Mal ein Auto sieht, das keinen Frontlader hat, nahm ich "das da" auf. Es war keine Badekappe, aber fast. Es war keine Armbinde, aber fast. Es war höchstens eine Augenklappe, wenn es überhaupt so kleine Augen gab…. Ich hatte das ungute Gefühl etwas in der Hand zu halten, in das ich meine Beine und IHN stecken sollte in der Hoffnung, sie nach dem Peeling unversehrt wieder zu bekommen. Es war aus feinem Gewirr, hatte Trägerchen, die alle in einem dreieckigen Stofffetzen zusammen liefen, als hätten sie dort eine Verabredung.



Aus dem weißen Kittel drang ein unterdrücktes Glucksen. Ein Blick reichte ihr, um festzustellen, dass ich Träger von Feinripp, im Winter schlimmstenfalls Angora war, mit Platz für eine erfrorene Hasenpfote. Als ich mich in dieser Lage daran erinnerte, wann ich das letzte Mal in einer ähnlich peinlichen Situation war, war es bei einer Wattwanderung und plötzlichem Bedürfnis nach Dixi. Nicht die Musik.

Wenn man nichts an hat außer dem, was man in der Hand hat, zieht man das da an. Aber wie herum? Sollte ich es falsch herum anziehen, hinge an der einen Seite meiner Hüfte eine Art Täschchen für Diverses. Völlig bescheuert, denn was braucht ein nackter Körper in so einer Schatulle?

Zahnpasta?

Stoff nach hinten würde bedeuten, dass ich vorn Probleme bekäme, die Frauen fremd, Männern alltäglich sind. Plötzlich wollte ich eine Umwandlung in die Einfachheit. Wo alles unter Putz, alles unsichtbar, alles im Innersten vernebelt und auf Überraschungen lauernd…
Es ging mir echt Scheiße. Ich fand heraus, dass es nur einen Weg gab. Den rechten. Den schwarzen Stofflappen nach vorn ausgerichtet zog ich nach oben, und achtete darauf, dass die Trägerchen hinten unten blieben, irgendwie. Ich wollte sie nicht da, wohin sie wollten. Ich nicht! So sah ich ins maliziöse Lächeln im weißen Kittel gegenüber.

"So, nun kommen Sie mal her! Wir gehen jetzt in die Kabine."

Bei den ersten beiden Schritten passierte es, dass ein Trägerchen dem Druck meiner Schenkel nachgab, und sich in die Hügel zurückzog, die sonst nur von 4lagig "Servus" besucht wurden, und sich jetzt knallhartem Zwirngedrängel ausgesetzt sahen. Geh vorsichtig. Fall nicht hin. Tu was Frau Doktor befiehlt. Sei stark da unten. Träger 1 war mit einem "Schnacks" verschwunden. Die anderen sicherten die Hüftregion. Der Gang hatte was von einer Tänzerin, es hatte was…Sie alle trugen Tanga. Jetzt wusste ich die Wahrheit über die Unmöglichkeit auf den Zehen zu laufen…Ich zündete eine Gedenkkerze für alle Frauen dieser Welt.

Augenblicklich blieb ich stehen. Wir erblickten eine Art Obduktionstisch, der zu freundlicher Belegung einlud. "Rücken oder Bauch?" Diese missverständliche Frage wendete ich wie eine heiße Kartoffel und fragte zurück:

"Darf es auch stabile Seitenlage sein?"

Ich entschied mich dafür der Verjüngung ins Auge zu schauen und die Rückenlage zu wählen. So fand man auch die Toten fast unversehrt im Permafrost in Sibirien und Alaska.

Dr. Sabine begann mit "Rubbel den Pelz". Sie nahm dazu ½ Liter Nordseeöl Marke "Brent Spar" das Barrel für schlappe 55 Euro Morgenkurs Sommer 2006. Eine halbe Stunde später hätte ich abreisen müssen. Eine Plattform hatte sich zerlegt und die Preise in die Höhe schnellen lassen, wie mein Gewickel nach den ersten 5 Minuten Sabine Saline. Ins Öl gegeben grobkörniges Salz aus der Haut eines verstorbenen Seelöwens mütterlicherseits. Ich bemerkte, wie ich jünger und dünnhäutiger wurde. Auch wenn die Haut nicht viel wog. Jetzt nahm sie ab, die alte, und ließ nichts als Jugend zurück. Ich schwelgte in der Erneuerung, und begrüßte die Hände von Weißkittel kurz mit einem tiefen Grunzen. Nach einer Ewigkeit und einem Wendemanöver auf der Totenbahre durfte ich Platz für den nächsten Jünger machen, der mir im Fahrstuhl entgegenkam.



Fotos wären kurz nach der Wiedergeburt im Tanga zwar wünschenswert gewesen, doch die Technik hatte wieder einmal in entscheidenden Momenten der Zeitgeschichte versagt. So blieb das Zittern vor dem nächsten Termin wie eine Erdbebenwarnung im Raum. Man weiß nie wann, man weiß nur, dass es kommt. Irgendwann. In meinem Fall innerhalb dieser einen Woche in der mein Passbild nur noch das der Vergangenheit war, während das neue Gesicht von der Nasenwurzel bis zu der anderen dank Frau Doktor Sabine Saline die neue Zeit einläutete. Ganz entspannt legten sich die kommenden Urlaubstage auf mein Gemüt. Bis zur Rechnung am Abreisetag. Da waren ja die Kosten fürs Kellergeschoss schon drin.

Ach deshalb.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein