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Titel
Auf der Suche nach den Sternen
Der Text
Nein, ich kenne nicht mal seinen Namen, nicht seinen Wohnort, oder wo er gerade jetzt seine Kunst zeigt. Er ist ein junger Mann, dem mit fünf Jahren schon das vorgesetzte Essen von den Eltern nicht schmeckte. Es muss so etwa die Zeit auch bei mir gewesen sein, als ich den Spinat versuchte an die Philodendron Erde im Topf zu schütten. Ab fünf Jahren trennten sich aber unsere Erfolgswege. Er wurde mittlerweile zum Superkoch, ich zum Rentner mit relativen Gestaltungstechniken bei der Zubereitung des Essens. Seine enthusiastischen Feinschmecker berichten in höchsten Tönen von der Kunst, möglichst wenig auf einem möglichst großen Teller so zu verteilen, dass das Maximum an Geld für fast Nichts bezahlt wird, was den Magen füllt, das Auge aber zum Verdrehen zwingt.

Die stolzen Eltern sitzen mittlerweile mit am Tisch des Erfolges, der auf dem schmalen Grat zwischen Gabel und Tischtuch international gewachsen ist, wie ein erstmals gezüchteter Pfifferling.

Es sind seine spontanen Eingaben, sagt eine Entzückte, die soeben eine geviertelte Haselnuss zwischen Rucola entdeckt hatte, der am Rande des Tellers, ganz in Schwarz, sich farblich abhob, und die durchs Deckenlicht aus einem Punktstrahler erst erkennbar gemacht wurde. Nein, es kommt hier eben nicht aufs Sattwerden an, es kommt darauf an, einer auf Palmöl aus dem Gazastreifen gegarten Hasenpfote noch im letzten Moment des Todes eine Aura zu geben. Eine Aura des Besonderen, zu der jeder wird, der bereit ist, dafür den Jahreslohn eines indischen Dampfhammerarbeiters zu bezahlen.

Ich wünsche jedenfalls dem neuen Michelin Sternekoch einen weiteren Stern, nachdem ich verzweifelt nach der Wendebratsche suche, um die Bratkartoffeln vor der Wiedervereinigung zu retten.
Typ
lustig
Autor
Burkhard Jysch