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Titel
Anmerkungen zum Huhn
Der Text
Bevor ich diese Anmerkungen niederschreibe, sehe ich mir Bilder an. Bilder von glücklichen, scharrenden Hühnern im hellen Sonnenlichte. Einige baden sich im Staub. Auch ein Hahn ist zu sehen. Erinnerungen an den Hof der Oma wechseln mit der Debatte um mehr Platz auf den Gitterrosten von Legebatterien. Sonntags esse ich gewöhnlich ein Ei. Es muss 5 Minuten garen. Mit dem Löffel zerdeppere ich die Schale. Mit Salz schmeckt mir das feste Weiße und das flüssige Gelbe vom Ei. Was verbindet den Menschen mit dem Huhn? Gibt es mehr Parallelen als wir wissen?

Beide laufen auf zwei Beinen. Beide ziehen sich beim Eilegen diskret zurück, beide gackern den ganzen Tag über, und morgens stehen beide häufig ganz früh auf. Fliegen konnte das Huhn bereits vor den Menschen, die weitere Entwicklung ging dann aber doch entscheidend auseinander. Während das Huhn weitgehend friedlich blieb, stopfte es der Mensch in die Bratröhre oder in Kissenbezüge. Er züchtete Rassen, die gegeneinander antraten zum Hahnenkampf oder andere, die ein Ei nach dem anderen legten, auch Sonntags.

Wer heute noch ein Huhn in freier Wildbahn sichtet, melde sich beim Autor. Dabei kann man beim Beobachten so viel von ihnen lernen! Zum Beispiel das Verhalten, wenn ein Wurm gefunden wurde! Anstatt ihn heimlich schnell und leise herunter zu schlucken, läuft die Henne unter Getöse dermaßen wild durch die Landschaft, dass auch das blindeste Huhn hinterher läuft, um nach dem Grund zu schauen. Anscheinend kommt es ihr weniger aufs Fressen an, als auf Aufmerksamkeit. Schaut her, ihr Deppen, ich hab ihn, nicht ihr! Natürlich wird der arme Wurm geklaut, gezogen und gebogen und - irgendwann geschluckt.

Vergleiche mit Lottogewinnern sind rein zufällig, und nur nebenbei hier erwähnt....Ebenso eine gewisse ähnliche Verhaltensweise bei der Neueröffnung eines Ladens mit Eröffnungsangeboten.

Da Mensch und Tier sich gleichermaßen gern im heißen Sand kuhlen, erscheinen Urlaubsbilder im anderen Licht. Gerötet bis knusprig braun liegen sie in Reihen an den Küsten. Und so manche Henne träumt vom Hahn, dass er vorbeikommen möge, ihr den Rücken zu ölen, den verbrannten...Die meisten der menschlichen Hähne sind aber nicht mehr in der Lage ein Gespräch zu eröffnen. Nur noch online. Da sind die echten noch viel ursprünglicher. Im wahrsten Sinne des Wortes...
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch