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Titel
Flatterfly
Der Text
Die asiatische Küche ist für den heimischen Magen erst einmal eine Art Schock. Durch die Vielfältigkeit unterschiedlichster Dinge, die man kauen oder schlucken kann, oder beides, durch die Art der Zubereitung und nicht zuletzt auch der Gewürze, die einer deutschen Ente einen ganz anderen Pfiff entlocken würden in ihren letzten Garminuten.

Nehmen wir z.B. ein asiatisches Stangenhuhn. Getrennt von Kopf und Beinen, der Innereien verlustig geworden, treibt der Küchenchef mit dem Rund-um-die-Uhr-Lächeln ein Bambusrohr durch die Körperhöhle, wo vor kurzem noch der stolze Kamm schwoll. An eine glutheiße Feuerstelle herangeführt ist es blankes Glück für das Huhn nichts mehr zu sehen oder zu spüren. Schon das Einreiben mit scharfem Gewürz wäre wie die Hautpflege mit einer Drahtbürste. So aber dreht sich Flatterfly oder dümpelt in riesigen Kochtöpfen seiner Garung entgegen.

Schon beim Studium einer Speisekarte trifft das Auge auf die üblichen Opfer menschlicher Fressgier. Hahn, Ochse, Ferkel. Fisch, Nudel oder Reis dazu, und dann alles pet pet, was soviel wie scharf heißt, doch Hölle heißen müsste. Dem Ganzen wird noch Grünzeug nachgeworfen und dann kochend serviert.

Da ich mich zurzeit in Bangkok aufhalte, schreibe ich diesen Bericht quasi aus der Reisterrasse eines großen Hotels heraus, und freue mich schon auf das Mahl unter Einheimischen, ganz nah in der Nachbarschaft.

Als der Natur der Entwicklungszweig Homo Asiatikus gelang, gab sie ihm ein Hackebeilchen und die Chillischote in die Hand. Um über Schärfe zu berichten, reicht es nicht sie zu beschreiben. Man muss sie einmal erlebt haben. Gewöhnliche Speisen werden gewöhnlich im Mundraum zerkaut, mit Speichel versetzt und nach unten befördert, während der Chillischote der Kauvorgang schon nach dem ersten Biss erspart bleibt. Als handele es sich um Falschgeld will der Körper dieses Gewürz nicht haben. Bei den einen führt es zum schnellen Runterwürgen, bei den anderen zur diskreten Seitbestattung neben dem Teller.

Eine dieser Suppen, in denen sich das besagte Zeug befindet, nennt sich Tom Yam. Nachforschungen ergaben, dass der Erfinder dieser Suppe so lange glühende Holzkohle im Munde rollte, bis er die Schote fand die heißer brannte. Tom Yam kann man nicht mehr löschen. Ist sie einmal im Körper, beginnen Abwehrreaktionen, die vom Schweißausbruch bis zum unkontrollierten Zusammenzucken des Schließmuskels reichen, der Böses schon ahnt!

Nun ist nicht alles scharf was brennt. Vieles aus der asiatischen Küche stammt aus der Zeit, als es noch keine Waffen gab und Mama Yam noch mit dem Rundholz arbeitete, um den Hühnern zu zeigen wo es langgeht. Papa Yam holte derweil alles von der Palme, das flüchten konnte oder sich ergab, und schleppte es zur Nudelholzträgerin erster Klasse.

Die Gewürze haben kein richtiges Zuhause. Sie bröseln in Blechnäpfen, krümeln in Untertellern, schimmern flusig durch Flaschen, in denen alles andere ist als das, was draufsteht, oder werden unterm Tisch mit einer Art Saucenkelle hervorgeholt als handelte es sich um einen Roman, der auf dem Index steht. Manche Blechdose mit köstlichem Ingredienz diente dem Aussehen nach der Schule jahrelang als Ballersatz, bevor sie ein würdigeres Leben führen durfte.

Auf den Märkten wuselt Mensch und Tier und wechselt den Besitzer. Enten werden öffentlich erhängt, mit Honig bestrichen und goldgelb gebraten. Der Kopf scheint eine Delikatesse zu sein, da nicht mal er den Weg in die Dose Hundefutter schafft.

Als ich mich des nachts durch die Enge eines Marktes drücke, wird mir der Weg durch den Huf eines Vierbeiners versperrt. Er ragt aus einem brodelnden Topf wie eine Halbschranke, die von einem zahnlosen Bahnwärter bedient wird, der sie hebt und senkt, wenn es nötig ist.

Zum Glück sind die Zeiten des Kannibalismus ein Geschenk der Vergangenheit angehörend, sonst würde der Tourismus in Thailand noch ganz andere Rezepte ausprobieren. Ich denke da an zarte Italienerinnen mit Pasta, oder Papa mit Grappa z.B. Gar nicht mal an verwertbare Deutsche, Die würden sogar noch aus dem Topf heraus was zu meckern haben.

Komme ich in einigen Wochen wieder nach Haus, freue ich mich der Kartoffel wieder in die Augen zu sehen. Doch soweit sind wir noch nicht, und so manches Stück Klopapier treibt den Fluss hinunter. In Gedanken sehe ich es dem Meer zutreiben, in dem es sich so gut baden lässt. An manchen Stellen ist es so herrlich grün blau wie die Augen einer Wahrsagerin, aber sicher auch -

ebenso trügerisch....
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch