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Titel
Eine Fahrt mit dem Bus
Der Text
Es geht nicht um irgendeine Fahrt mit irgendeinem Bus, es geht um eine bestimmte Fahrt mit einem Linienbus. Schon im Vorfeld des Asienurlaubs lasen wir etwas über Fahrpläne, Pannen und Verzögerungen auf der Strecke. Nichts bestimmtes, denn man wollte ja keinen Touristen verschrecken. Jeder sollte das Land mit den 7000 Inseln kennen lernen, in dem es nicht nur Schiffe gab, sondern ab und an auch Busse...

Sie waren robuster Gestalt, trugen Personen wie Lasten im Innern, wie oben drauf, und manchmal an ihnen hängend, was Personen betraf. Ihre Fahrer zähle ich noch heute zu den eigentlichen Helden bei der Überwindung der Schwerkraft und vor allem der Angst. Es ist ratsam, stand im Reiseführer, sich gerade auf den Philippinen etwas Zeit zum Reisen mitzubringen. Man sollte rechtzeitig an der Haltestelle sein und dann Geduld walten lassen. Die Abfahrtzeit wurde in dem Moment entschieden, wenn die letzte Ziege auf dem Dach ihren vorläufigen Halt gefunden hatte, der Marktplatz leer war von heran hastenden Gestalten, die mit wollten.

Unser Fahrer war sehr geduldig. Sein Bus überfüllt bis zum letzten Platz, was den Gang betraf ebenso und die Trittbretter draußen. Man muss es sich vorstellen wie eine reife Traube, die sich aus dem Staub löst, mit einer mörderischen Qualmwolke das Terminal verlassend, um ächzend sich auf den Weg zum nächsten Hafen zu machen, irgendwo ein paar Stunden entfernt....Wir hatten das Glück einen Stehplatz ergattert zu haben. An der abgerissenen Schlaufe über mir erkannte ich erste Spuren der Schwerkraft. Sie half einmal beim Sturz eines Mitreisenden und blieb bis zum Boden in seinen Händen...

Der Stadtrandbereich war befestigt, solide Betonplatten trugen das Schwergewicht, dessen Stoßdämpfer vor Jahrzehnten kurz nach ihrer Entwicklung eingebaut wurden, und sicher bald irgendwo in eines der Schlaglöcher fielen. Der Bus hatte was von einem Schiff in schwerer See. Wir gerieten in die Außenbezirke von Cebu City auf der Insel Cebu. The City of happy people and happy music, stand auf einem Transparent am Flughafen. Schon bald erkannten wir die Wahrheit über die Aussage.

Was die People anlangte wurden wir mit einem breiten Lächeln beobachtet wie ein Versuchsschwein, dem man einen Liter Whisky zum Probieren gereicht hatte. Es wird ihnen nicht entgangen sein, wie misstrauisch wir den Fahrer beäugten, der seine Ration Lipovitan schluckte, das seine Wirkung der Fitness bei völliger Abgeschlagenheit entfaltete. Er trug eine Taucherbrille, was wohl daran lag, dass die Scheibe gerade da, wo man es nicht gern hat, zersprungen war. Wo man eben hinguckt, wenn man vor sich was sehen will...

Als gläubiger Katholik, wie die meisten Inselbewohner, fehlte dem Fahrer Maria nicht am Rückspiegel, die zwischen getrockneten Kirschkernen im Rosenkranz während der ganzen Fahrt hin und her schwankte, und es den stehenden Passagieren gleich tat. Das Volk war in bester Stimmung als happy music einsetzte. Eine Bassreflexbox unter der letzten Bank begann ihre Schicht. Leider konnte sie nur zwei Lieder in den fünf Stunden Fahrt. Eines davon war Eye of the tiger, das andere Da Da Da in englischer Fassung.

Auch wir ließen uns anstecken und sangen die ersten 200 Strophen laut mit. Bis wir an eine Brücke kamen. Auf dem Schild, dem sich der Fahrer extrem vorsichtig näherte, stand eine maximale Belastbarkeit, die tatsächlichen Verhältnissen in keinster Weise gewachsen war. Selbst ohne Passagiere und Ziege war ein Durchbruch durch morsches Holz in Reichweite. Die Box gab grad alles mit Da Da Da, nur wenige sangen jetzt mit. Die abgefahrenen Reifen eroberten sich erste Holzbalken, dann weitere. Es knirschte wahrhaft im ganzen Gebälk, das der letzten Überflutung, sowie dem Erbeben getrotzt hatte.
Der Fahrer entschloss sich nicht stehen zu bleiben und gab etwas mehr Gas, um über ein paar Lücken hinweg zu "fliegen". Einige Philippinos kramten ihre Kirschkernketten heraus, ich quälte mein Kaugummi hinten rechts.

Er schaffte es dieses Mal noch, doch dachte ich schon jetzt an die Rückfahrt...

Vor den Dörfern kündigte sich unser Kommen jeweils durch des Busses Nebelhorn an, das noch vor der Staubwolke markerschütternd warnte. Der Fahrer war ein ausgefuchster Künstler. Jedes Huhn, das sich den Busreifen nicht andächtig entzog, wurde durch gezielte Tötung von der Sinnlosigkeit seines Lebens überzeugt, indem ein kleiner Lenkradausschlag reichte. Ich zählte allein 6 platte Hühner, einen schlafenden Köter und eine Alte, deren Ohren nicht mehr genug Trommelfell zur Verfügung stand. Auf dem Gesicht des Fahrers war etwas Missmut zu erkennen, dass er sie verfehlt hatte, und ihr nur die riesige Staubfahne zur Inhalation lassen musste.

Einmal war plötzlich Halt auf freier Strecke. Eine verlorene Bambushütte war Gelegenheit zur Rast. Eine Art Toilette, die hier comfort room genannt wurde, bot den Leidenden Einblicke in die Vorstufen menschlicher Entleerungstechnik. Im Topf köchelte eine rostbraune Brühe, aus der ein Bein ragte, mit dem der Koch ab und an umrührte. Ich entschied mich für Kaugummi weiter kauen.
Wenn es Markttag war, fuhren wir durch den Markt, nicht drum herum. Liebevoll wurden die rein biologischen Erzeugnisse der Region ans Fenster gehalten. Lebende Hühner, tote Eier, und sogar Wasser aus milchigen Flaschen, die selten einen Kühlschrank in ihrem Leben gesehen hatten.

Dann kam der Monsun. Schon kurz zuvor wurde die Ziege über mir unruhig und stampfte mit den Hufen. Tiere merken zuerst, wenn es unruhig wird... Dann brach es herein. Das Dach eines Linienbusses auf den Philippinen ist nicht unbedingt geschweißt, eher gezwackt. Kurz, es schüttete bei jeder Rechtskurve, so dass ich meinen Kumpel, der Zugriff auf mein Handgepäck hatte, um Schampoo bat. Es wurde an mich durchgereicht. Jetzt kamen die happy people aber in Schwung. Der Tourist wäscht sich bei uns die Haare im Bus und wartet für die Spülung auf eine Rechtskurve....

Na klar kam sie irgendwann auch, ich glaube wieder bei Da Da Da. Mittlerweile waren 30 Gäste irgendwo ausgestiegen, abgesprungen oder in den Busch geflüchtet, einige andere hinzu gestiegen. Und irgendwann kamen auch wir an.

Es tröstete uns der Blick auf einen riesigen Baum an einem großen Dorfplatz, von dem es mit dem trycicle weiter gehen sollte, aber das ist eine ganz andere Geschichte...
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch