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Titel
Die Weihnachtsente
Der Text
Eine satirische Betrachtung weihnachtlicher Gewohnheiten

Die Verkäuferin sah mich etwas irritiert an, als ich im Mai bereits die Bestellung für Weihnachten aufgeben wollte. Es war ein Geflügelfachgeschäft, in dem man die Sicherheit hatte, nicht sicher zu wissen, woher der Bock gekommen, dem man das Leben genommen. Während es in deutschen Ställen keine einzige Kuh mehr gibt ohne Plaketten in den Ohren, Stempel am Euter, die nicht abwaschbar das deutsche Reinheitsgebot bei Milch dokumentieren, fällt es der Jägerschaft schwer, dem Frischling in einem unbewachten Moment das Dokument ans Ohr zu klipsen, bevor es die Sau bemerkt. Wir essen also alle ein wenig Herkunftsverdächtiges. In meinem Fall war es die Pute, die Gute.

War sie erst eingefroren und trug auf dem empfindlichen Teil ihres entfederten Körpers ihr Verfalldatum auf Plastik, was ihre Scham bedeckte, nach der der Hahn einst den Hals verreckte, ja dann konnte man keine gewisse Frische mehr erkennen. Ich legte also viel Wert darauf, gleich am Beginn der Mast, quasi am Beginn ihres vollgeproppten kurzen Lebens, ein Zeichen zu setzen, das dem Wunsch nach Frische und Urbanität Ausdruck verlieh.

"Ja, hat das denn nicht Zeit bis Dezember?"

Die rote Pausbacke hinter dem Tresen unter der weiten Schürze fragte mich halb belustigt und sah in meine blauen Augen, aus denen sie mein Sternzeichen zu deuten versuchte.

"Nein, beharrte ich, der Grund ist die letzte Erfahrung in ihrem Laden. Ich bestellte vor einem Jahr eine Ente für zwölf Personen. Sie war weg. Sie musste den Sittich gemacht haben, ohne Federn und Cockpit! Sie war einfach unter dem Berg hingemetzelter Artgenossen unauffindbar. Sie verstehen meine Sorge, nicht?"

"Ja, aber sie bekommen doch einen Kontrollbon mit einer 12stelligen Nummer darauf und dem Anfangsbuchstaben ihres Namens?"

"Doch schon, erwiderte ich leicht gereizt, doch den Bon kann man nicht stopfen, und mit dem Anfangsbuchstaben kann man keine Sauce anrichten für 12 Personen!"

"Und, wie ist es ausgegangen damals?"

"Ich holte mir eine ganz Frische vom Wallgraben, log ich bedeutungsvoll und beugte mich flüsternd zu ihr herüber. Ich buchte eine Fahrt mit dem Paddelboot und setzte, für die Ente überraschend, heftig das Paddel bei der Wende ein. Gott sei Dank konnte ich die Bewusstlose ins Boot ziehen, wo sie jedoch noch auf der Rückfahrt verstarb. Shit happens!" fügte ich noch bedauernd hinzu.

"Das haben Sie fertig gebracht?"

"Sie hat ja nichts gewusst vorher, oder erzählen Sie ihren zahlreichen Opfern, dass sie schon bald ein Preisschild auf ihrem blanken Hintern haben?" (Ich meinte die Ente)
"Also was ist jetzt mit der Bestellung?"

"Da muss ich erst den Chef fragen", kam aus dem bereits geröteten Gesicht, das die Farbe eines Putenhalses annahm. Sie verschwand im Nebenraum. Inzwischen blickte ich auf die ganze Kraft menschlicher Kälte. Gestempelte Eier, die der Nachkommenschaft stolzer Kammträger das Grauen auf diesem Planeten schon im Frühstadium ersparten. Eine große Schale voller Herzen, durch die einmal Blut gepumpt wurde, damit das Ganze zu einem 6 Pfünder wuchs, um später mit einem Strauss Petersilie im Hintern der weihnachtlichen Tafel ein schönes Bild zu bieten. Kaninchen zu Teilen, am Stück, Schlegel diverser Federträger, und die ganze Palette dunklen Fleisches, das einmal ein Rehbock war, und die dritte Folge von "Bambi" durch die Bratöhre sah. Auch lagen dort die, die zwar so hießen, aber am Schluss doch kein Schwein gehabt hatten, und die Begegnung mit dem Jägersmann nicht überlebten.

Sie kam zurück.

"Ja, der Chef sagt Nein! Es ist noch zu früh. Der Zettel geht verloren!"

"Das ging er letztes Jahr auch, und ich weiß nicht, ob ich wieder das Boot bekomme, wenn der Graben zugefroren ist. Nur das Paddel wird nicht verliehen!"

"Was möchten Sie sonst noch?"

Es gibt wenige Frauen auf dieser Welt, die übergangslos zum Wesentlichen kommen.

"Ich nehme ein Ei, sagte ich, wickeln sie es mir so ein, dass es nicht zerbricht. Ich bin mit dem Surfbrett hier. Sie wissen ja, in der Fußgängerzone ist es ziemlich eng!"

Sie gab mir das Ei in der Pappe für sechs. Irgendwie hatte ich nicht bekommen, was ich wollte. Doch schon bald sollte es sein. Es war die Vorfreude aufs Fest. Im Juni entdeckte ich die ersten Dominosteine, im August den Lebkuchen. Es ist doch gut, wenn man rechtzeitig Vorsorge trifft durch Vorweihnachten im Sommer, da kann man sich das ganze Jahr auf den Tannenbaum freuen. Dieses Jahr soll es einer vom Recyclinghof sein. Schon geschreddert im Eimer. Das erspart den ganzen Kram mit Anplündern, nimmt keinen Platz weg und kommt am 27.sten in die Rabatten. Geschredderte Nordmänner gibt es schon im Eimer für 2,50 Euro. Oder doch die vom Nachbarn vor unserem Fenster?

Nimmt das ganze Jahr Licht weg, das Luder.

Es wird Nacht sein, wenn er Nachtschicht hat.....
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch