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Titel
Drüben
Der Text
Sie hatten die Stelle erreicht, von der die andere Küste sichtbar wurde. Die so nah liegende Kette von Bergen und Tälern, die in verwaschenem Grün zu erkennen, und sogar, so meinte einer, zu riechen war. Er murmelte etwas von Freiheit, und dass es lächerlich sei den kurzen Weg nicht überwinden zu können. Was war schon Wasser, das gleichgültig dahin trieb wie alles, was darauf schwamm. Bald schon würden sie das Schlauchboot besteigen können und selbst treiben. Dicht gedrängt wie die Summe aller Gedanken in ihren Köpfen das Richtige gemacht zu haben, auf dem richtigen Weg zu sein. Heraus aus den Bildern der staubigen Straßen auf denen Hunde nach Futter suchten und Menschen nach Essen. Der Weg, den sie vor sich hatten ergab sich aus der Notwendigkeit. Flucht war der Oberbegriff, Verlust der Heimat das Kleingedruckte, das sich nicht retuschieren ließ, als legte man etwas Weißes darüber, das die Farbe des Blattes hatte auf dem etwas stand, was wichtig war, und jetzt nur noch durchschimmerte wie das Grün der Täler dort drüben.

Sie sollten nachts wieder kommen. Tags wäre es zu gefährlich. Die Soldaten waren nicht zimperlich und bekamen Geld dafür ihnen blutige Striemen zu versetzen, die schmerzten.

Die Sonne hatte ihr Restgold auf der Wasserstraße an Gläubige verschenkt, die es versuchten festzuhalten, wie ihr Kind auf dem Arm. Alles war ruhig. Das Schlauchboot schemenhaft in Rot zu erkennen, der Platz darin, mein Gott der Platz. Alles drängte und schob, und sie verschluckten die Laute des Zorns über die Kräftigen unter ihnen, die ihre Ellenbogen einzusetzen wussten und ihre Zähne. Als sie endlich ablegten spürten sie wie weich der Boden unter ihren zerschundenen Füßen war, wie verletzbar den Wellen gegenüber, die sich neugierig zuerst, dann immer gieriger erlaubten nach ihnen zu greifen. Beim Blick nach vorn war jetzt der Streifen Horizont zu erkennen, das Ziel über dem sich Sterne entfalteten wie geweckte Blüten. Dafür blieb kaum Zeit zum Nachdenken. Alle schaufelten mit ihren Händen das Wasser aus dem Boot, das sich verbog, von der starken Strömung gedreht, zum Ausgangspunkt zurück trieb, um dann doch wieder den alten Kurs einzuschlagen.

Ab und an wurde einer ins Wasser befördert. Schnell verschwand der Kopf aus dem Blickfeld der Hoffnungsvollen und plötzlich war das Boot unter ihnen so tief gesunken, dass die dünne Haut sich nicht mehr gegen das Schicksal sträuben konnte. Wie nah sie doch schon waren und wie weit. Es war die Strömung zwischen den Inseln. Unsichtbar trieb sie seit Urzeiten dahin aufs offene Meer, das jetzt das Licht der Sterne widerspiegelte.

Eine Illusion von Nähe und Freiheit.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein