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Titel
Doppelfenster
Der Text
Diese Art von Durchsicht ist längst ausgestorben. Der Vorläufer der Thermoglasscheibe prägte in den späten sechziger Jahren auch die Räumlichkeiten unserer Kaserne im fernen Kaufbeuren. Während sich hinter den Scheiben teilweise hitziges Geschehen abspielte, herrschte im Raum zwischen den Scheiben eine Temperatur, die den heutigen Kühlschränken entspricht. Jedenfalls im Winter. Die Fantasie eines Soldaten in Friedenszeiten ist schillernd, und so kam es zu teils zu absonderlichem Ausnutzen des Zwischenraumes. Einerseits aus der sauberen Luft jenseits der Scheibe, und der verteidigungsbereiten. Die entsteht, wenn man 6 junge Männer zusammen in einen Raum pfercht.

Deutschlands Verteidigung wurde aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen gezogen. Daraus ergab sich eine Melange aus Düften, ähnlich denen einer Kanalreinigung. Düfte, die aus grauen Wollsocken flüchteten, sich mit grauen Unterhemden paarten, und sich zu denen gesellten, wenn der Soldat bis zur Hüfte im Wasser gewatet war. Dagegen an stank ein Schwabe, der anscheinend zu jedem seiner 18 Geburtstage eine Flasche Tabac vom Papa geschenkt bekam. Eines Tages, so die restlich Geschädigten im Raum, eines Tages würden wir sie umfüllen. Die alternative Duftsorte sollte noch ausdiskutiert werden.

Viele Rekruten fanden die erste Liebe ihres Lebens, weil sie kein Tabac benutzten. Der Schwabe blieb jedenfalls während der Grundausbildung ohne weibliche Gunst. Als Dank für die Vaterlandsverteidigung erwies sich die Verbindung von München Maik mit einer Fleischereifachverkäuferin aus Kaufbeuren als Glücksfall. Traudl ohne "e" begann gleich zu Beginn die Liaison mit fleischlichem Lohn in Form von Gelbwurst. Eine Kaufbeurer Spezialität ordentlichen Ausmaßes. Maik muss sehr gut zu seiner Traudl ohne "e" gewesen sein, denn schon einen Tag nach der erfolgreichen Schäferstunde hing eine Gelburst zwischen dem Doppelfenster. Nach einer Woche waren es schon sechs, und nach dem freien Wochenende sogar ein Schinken....Maik erntete von uns anerkennendes Grinsen. Der Schwabe blieb solo.

Nichts gegen die Oliv Kantine, aus der es köstliche Kartoffeln mit Irgendwas gab, aber ab und an ein Stück Wurst aus dem Angebot konnte nicht schaden. Manchmal ging sogar nachts einer mit dem Messer an die Scheibe...

Bei den Wochenend Stubendurchgängen, fiel das Fleischerfenster natürlich auf. Aber niemand der höheren Dienstgrade sagte etwas dagegen. Wir wunderten uns schon über das Warum, bis eines Tages ein Leutnant Vertretung für einen kranken Kameraden machte. Bevor er das Zimmer wieder verließ, fragte er in den Raum hinein:

"Na, wer von euch kennt denn Traudl?"

Der Soldat vergisst schnell, dass er nicht allein ist, und vor ihm schon andere waren, besonders, wenn es um die Wurst geht.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch