Text 265/653

Titel
Diebesgut
Der Text
Er hatte etwas von einem Dieb. Einer, der tagsüber kommt, und auch die Nacht nicht scheut, wenn er Beute machen kann. Hier und da stahl er ein paar Minuten, und ließ sich nicht davon abhalten, wenn Viele auf ihn schimpften, ihn als Täter beschrieben, nach dem man Ausschau halten möge. Es galt immerhin etwas festzuhalten, das man Sommer nannte, etwas Eigenes, auf das man Anspruch hatte. Etwas Geliebtes, mit dem man hinaus fuhr, um sich ihm hinzugeben. Einem alten Freund, mit dem man des morgens auf der Terrasse sitzen konnte, um den ersten Kaffee zu schlürfen im Bademantel. Auch das gehörte dazu, sich in Autoschlangen einreihen und geduldig auf den Moment zu warten, wenn die Autotür geöffnet wurde, um den Seewind zu spüren, und den Sand.

Jeder fragte sich, was wollte der Dieb mit der Beute? Würde er sie gewinnbringend verschachern an Interessenten, die so etwas wie Wärme gebrauchen konnten, hellere Tage vielleicht? Es kümmerte ihn wenig, wenn er damit begann, seine Taten zu verschleiern, oder soll ich sagen vernebeln? Große Mühe gab er sich nicht damit. Blieb, wenn Gardinen zurück geschoben wurden, um in den Tag zu blinzeln, wenn man ihn auch durch den Morgennebel noch nicht sah. Er nahm sich meinen Vater aus den Sommern seines Lebens, die unverzeihliche Tat, die niemals verjährt.

Ab und an versuchte er zu versöhnen, hatte wohl ein schlechtes Gewissen, aus dem heraus er Blumen zum Erblühen brachte, die greller, bunter feuerwerkten, immerhin bei mir ein Vergeben einspeisten in den Strafenkatalog. Er war ja kein unbeschriebenes Blatt. Er wollte sicher etwas sagen, Werbung machen vielleicht, für sich in eigener Sache. Wenn ich den späten Honig nahm aus dem letzten Glas des Sommers, dann gelang ihm das auch. Ich verzieh ihm und gab ihm die Hand.

Der Halunke nahm sie und zog mich an den großen Fluss in der Nähe, in dem Blätter trieben, um weiter zu kommen, als an den Fuß des welkenden Baumes, der geduldig abwartete, was kommen sollte. An den Birnen hielt er fest und an den Äpfeln, den Blättern gönnte er die Freiheit zu gehen, und sie nahmen sie dankbar an. Der Wind half etwas nach. Warm immerhin von West, von aufgeheizten Wassern nah seines Weges. Was mich etwas erschrecken ließ war die Tatsache, dass er erkannt wurde, nicht verurteilt, dass er straflos jene Zeit mit sich nahm, die man weltweit als Sommer bezeichnete.

In die Tropen hatte ich Bilder mitgenommen, die unsere Jahreszeiten zeigten. Derselbe Baum, dasselbe Haus in allen Facetten. Die Antwort des kleinen, sehnigen Bürgermeisters einer ebenso kleinen Gemeinde im Palmenpostkartenparadies lautete:

"You must be lucky about all the changes."

Ja, vielleicht hatte er recht. Glücklich sein hatte etwas mit Wechsel zu tun. Mit Wind und Wellen statt Flaute und Ewigsommern, denen nichts übrig blieb, als auf den Dieb zu warten, der nie kommen würde, um ihnen etwas zu nehmen, und es ihnen wieder zu geben nach einer Zeit des Wartens.

Heute noch sollte ich an den Fluss gehen, um nach Blättern Ausschau zu halten, ersten Spuren, die nicht wie sonst dem Dieb folgten, sondern ihm vorweg liefen, als wäre er schon längst den verräterischen Weg gegangen.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Ja