Der Text
Der Schnee kam früh. Spät blühende Rosen trugen am Morgen weiße Häubchen und standen herum wie Krankenschwestern, die selbst Hilfe gebrauchen konnten. Der Duft, den ich bei einer aufschnappte, hatte beides. Zum einen die gewohnt süße Schwere des Sommers, zum anderen den Schneegeruch des Winters, der sich in den Weg stellte.
Bloß nicht aufgeben hieß die Devise. Vielleicht kommt ja doch noch eine Biene, ein Schmetterling, irgendetwas Summendes, Brummendes vorbei und leistet mir Gesellschaft in der Kälte? Doch nichts hatte die Nacht mit Frost überstanden. Der Schnee fiel wie nass geschnitten vom Himmel, und da kein Wind war, drängelte sich keine Flocke vor die andere. Jede fiel in der Reihenfolge, wie sie sich aus dem großen grauen Ball über mir gelöst hatte. Wenn es eine Überraschung gewesen sein sollte, dann war diese gelungen.
Auf dem Teich hatte sich eine Folie aus feinstem Eis gebildet. Nicht mehr als eine faltige, zerbrechliche Scheibe, in die selbst eine Libelle einbrechen würde. Das hoch gewachsene Gras bog sich unter der Last und wartete sehnsüchtig auf einen Windstoß, der es befreien könnte. Über allem aber lag etwas ebenso Überraschendes wie der plötzliche Schnee:
Es war die Stille -
Sie hatte alles im Griff. Es schwiegen die Blätter an den Zweigen, kein Hundegebell, nicht ein Autogeräusch von der entfernten Schnellstraße war zu hören. Als wenn die ersten der letzten Rosen blühten, die ersten Gräser sich bogen, das erste Eis über den Teich kroch, um ihn einen langen Winter nicht mehr loszulassen. Alle Geräusche mussten sich im Schneefall verirrt haben. Sie blieben unter sich, genauso wie die Rose, die jetzt plötzlich allein dastand in ihrer spät sommerlichen Herrlichkeit.
Lange würde sie das nicht aushalten, das wusste sie, aber sie wusste ebenso, dass die Zeit vorbei sein würde, wenn der Frühling kam, denn die Knospen für neue Blüten lagen unter ihrer grünen Haut, und vielleicht würde ja auch sie eines Tages überraschend blühen, wie es der Schnee jetzt geschafft hatte zu fallen.
Ich beschloss morgen wieder nach ihr zu sehen. Konnte ich vielleicht ein letztes Mal einen Duft aus Schnee und Rose erleben? Vielleicht?