Text 373/626

Titel
Klassenfahrt
Der Text
Klassenfahrt

Einmal im Jahr wurde sie unternommen. Einmal für ein paar Tage woanders hin, als auf den angestammten Platz im Schulzimmer neben den üblich Verdächtigen. Den mittlerweile Befreundeten aus dem Dorf hinter dem Berg. Ich freute mich darauf wie alle anderen, besonders an jenen Ausflug nach England Anfang der 60er Jahre, als man über die Beatles sprach und die Stones. Mit Bus und Fähre von Holland nach Dover. Neugierig wie alle lehnte ich mich ordentlich weit über die Reling und schaute nach unten, wo die schaumig weißen Wellen die Bordwand entlang glitten. Dazu kam ein ordentlicher Wind. In Dover schnupperte ich erstmals "englische Luft". Eine Mischung aus Kaugummi Minze und einem überall versprühten Desinfektionsmittel gegen irgendetwas. Und da war noch etwas. In der 10 ten Klasse wussten wir nicht nur von englischer Sprache, wir lernten sie und schrieben Klassenarbeiten mit wechselndem Erfolg meinerseits.

Als ich dann aber die ersten tatsächlich englischen Worte vernahm, glaubte ich gar nichts mehr. Aus den rauen Kehlen der Hafenarbeiter klang das Englisch so ganz anders als das, was wir gehorsam erlernt hatten. Auch jenes bei den Gastfamilien, auf die wir verteilt wurden, im Rahmen des Schüleraustauschs war gewöhnungsbedürftig. Die Familie, in der ich einige Tage verbrachte hatte, Kinder in meinem Alter, und kein Wort Deutsch verstanden sie. Ich versuchte mich auf Englisch auszudrücken, und das war ja auch der eigentliche Sinn der Fahrt. Wie sagt man aber höflich, dass einem das englische Frühstück nicht schmeckt? Es gab Porridge, eine teuflisch klebrige helle Masse, in der sogar der Teelöffel nur langsam zur Seite kippte, wenn man ihn hinein steckte... Wo waren die krustigen Brötchen und stahlen dem biegsam weichen hellen Toast die Show? "Very british!" Immerhin besuchten wir London und schauten uns das "Natural Historie Museum" an, in dessen Hinterzimmern für keinen zugänglich die Asservate erdgeschichtlicher Vergangenheit schlummerten um erforscht zu werden. Auch die anderen Sehenswürdigkeiten, so gut es geht um eine Großstadt zu erkunden.

Leider bekam ich schon in den ersten Tagen eine Bindehautentzündung, (der Wind auf dem Schiff hatte ganze Arbeit geleistet), er hatte mir die Augen eitrig verklebt, die ich aber nach Einnahme einer Medizin wieder öffnen konnte. Mit ihnen traf ich auf sehr aufgeschlossene nette Menschen, die mir nicht nur ein Dach über dem Kopf gaben, sondern auch zeigten, dass es Menschen waren wie wir alle, (bis auf dass sie Porridge mochten). Und dass es einmal eine Zeit gab, die dazu führte aufeinander zu schießen. Nicht lange her war das damals noch, und gerade deshalb lohnt es sich Verständigung zu üben, zu lernen Grenzen zu überwinden und Frieden untereinander zu bewahren.
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein