Text 435/605

Titel
Oft denk ich an ihn
Der Text
Oft denk ich an ihn, den Opa, der gleich ein Haus weiter von den drei Häusern aus denen meine damalige Welt bestand, zu seiner Sense griff, um sie zu schärfen. Jenes merkwürdige Gerät, das aus stabilem Bügel mit zwei Griffen bestand, aus einem gebogenen Stahl und einem Mitnehmer, der sich um das geschnittene Gras kümmerte, und es zur Seite legte, als wäre es nichts mehr wert. An den Opa, der mit einem rauen Streicher ab und an geschickt den Stahl wetzte, damit er wieder schnitt, und wieder und wieder sich die aufstrebende Grasversammlung vornahm, damit ihr Ende bereitete. Anfangs bewunderte ich seine Geschicklichkeit, wenn er es für angebracht hielt sie zu dengeln. Er legte sie dann auf den Boden auf einen Amboss und schlug immer zwei zu eins auf Sensenblatt oder Amboss. Und wenn es dann in den Wald klang, waren es weithin hörbare Schläge, als kämen sie von einem Kirchturm zum letzten Geleit in der Ferne.

Später, als meine kindlichen Überlegungen sich in andere Richtungen änderten, ich das Gras nicht als Gras sah, sondern als Menschen, die sich zuhauf versammelt hatten in einer Schicksalsgemeinschaft, die durch jenen scharfen Schnitt in Reihen umfielen, und nicht wussten warum. Vielleicht ist es abwegig so zu denken, denn weder der Opa noch irgendjemand sonst war ja Schuld an diesen Umständen, die auch heute wieder so viele betreffen, so gar nicht weit weg von uns hier, und manchmal erzählte er von Flandern, von Verdun, und so bekannten Namen, die in die Geschichtsbücher eingingen, als fänden sie dort ihre letzte Ruhe, was natürlich erst recht abwegig war.

Anders als das gemähte Gras blieben sie nicht liegen, um sie weiter zu verwenden. Sie taugten nicht einmal für die Erinnerung, denn der Mensch vergisst schnell. Ihre Nächsten tragen schwer an dem Warum, das Gras fragt nicht, wer so ein scharfes Schwert schwingt, es erliegt dem Sommer und sprießt bald neu. Ich erinnere mich an den Opa durch diese Art von Melodie, von ihm erzeugt, um das Blatt extrem zu schärfen, denn bald soll es trocknen, den Kreislauf in Gang halten vom Werden und Vergehen. Es müsste etwas geben, etwas, das die Erinnerung an die Unsinnigkeit eines Krieges jenen klar zu machen, die ihn planen und beginnen, die nach Rechtfertigungen suchen und sie finden, nur nicht bei sich selbst. Denn wie gesagt, der Mensch vergisst.
Typ
Weisheit
Autor
Burkhard Jysch
Veröffentlichung erlaubt
Nein