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Titel
Afrikanische Nacht
Der Text
Es war einer dieser langen afrikanischen Abende, die regelmäßig damit begannen, dass das schwere Holztor des Camps geschlossen wurde. Zu dieser Zeit verwandelte sich die ganze Umgebung in eine andere Welt. Wo vor Stunden noch die hochstehende Sonne alles in zitternder Luft erstickte, tauchte sie jetzt für ein paar kostbare Minuten die Landschaft in ein kupfergoldenes Scenario. Umgestürzte Bäume, aufgewühlte Schlammlöcher, Buschland und tiefe Spuren von Reifen im roten Sand, alles bekam den letzten Glanz, bevor sich der Himmel im südlichen Afrika auftat, wie ein großer schwarzer Schirm. Übersät mit einer Unmenge an Sternen, die im Hintergrund nicht mehr einzeln erkennbar waren, doch durch ihre geballte Leuchtkraft eine Ahnung von der Unendlichkeit vermittelten.

Lagerfeuer wurden von fleißigen Parkangestellten in Gang gebracht, und nach einem ausgezeichneten Buffet konnte man sich noch einen Fleischbrocken am offenen Feuer braten. Hierzu wurde keine Holzkohle verwendet, sondern getrocknetes, schweres Holz einer besonderen Art, das dem Fleisch eine einzigartige Würze gab.

Der Wein aus der Kap Provinz war kühl. An den Gläsern bildeten sich sofort tausende kleiner Tröpfchen, denn auch ohne Sonne zeigte das Thermometer noch satte 28 Grad C. Es war fast, als würde man ein Zirkuszelt betreten mit allen Gerüchen, die man noch aus der Kinderzeit kannte. Langsam sammelten sich ums Feuer Gestalten aus aller Herren Länder, und Geschichten wurden von Rangern erzählt, die kein Fernsehen brauchten, um unterhalten zu werden.

Sie selbst waren Teil eines Programms, das Leben und Tod hieß. In ihren Gesichtern standen sie, die Abenteuer, nach denen sich die Touristen sehnten. Wurde der Abend lang, kamen Vierbeiner durch Schlupflöcher im Zaun und interessierten sich brennend für abgenagte Knochen unserer Steaks. Es waren Schakale der Gegend, deren Augen aufleuchteten, wenn man sie mit der Stablampe anleuchtete. Sie wichen geschickt zurück, wenn einer von uns an den Zaun ging, um zu pinkeln.

Hier war man gleichzeitig getrennt und verbunden mit einer Welt, die wahrhaftig erlebt um soviel größer war, intensiver duftete und jeden Einzelnen so sehr beschäftigte, daß man spontan beschloß, nicht das letzte Mal hier gewesen zu sein. Der Zaun aus Maschendraht und etwa 2,50 m hoch war nicht nur durch das Haupttor unterbrochen, sondern besaß verschiedene kleine Öffnungen, um umständliche Umwege zu vermeiden, wenn es nötig war. Im Allgemeinen wurden sie immer gut verschlossen, aber es gab auch mal Pannen.....

So kam es, daß unbemerkt mitten in der Nacht eine dieser Großkatzen die Gelegenheit nutzte, um sich im Camp umzusehen. Der Löwe interessierte sich für den Swimmingpool, wo er fand wonach er suchte: Wasser! Schon von außerhalb hatter er es gerochen und war dankbar für die angelehnte Tür.

Etwa zur gleichen Zeit suchte einer der Touristen die Toilette im Gästehaus auf. Um diese frühe Zeit war alles in tiefem Schlaf, bis es zur Begegnung am Pool kam. Wenn man sieht, was man nicht glaubt, denkt man oft, daß man träumt. Das Tier hatte sich tief zum Wasser gebeugt und schlappte hörbar das kostbare Zeug in sich rein. Der Mensch hatte nicht nur eine volle Blase, sondern auch einiges an Alkohol in sich. Als sich beide überrascht ansahen, mag wohl jeder für sich an eine Fatamorgana geglaubt haben. Auf jeden Fall war es eine gefährliche Begegnung in einer sicher geglaubten Umgebung. Niemand weiß, warum der Stärkere nachgab und davon wich. Vielleicht war er Antialkoholiker oder hatte den Bauch dermaßen voll Wasser, daß er nicht sofort angriff.

Der restlos ernüchterteTourist klopfte recht eindringlich an die Tür der nächsten Rundhütte, und versuchte die Leute von dem zu überzeugen, was er gesehen hatte.

Nach anfänglichen Zweifeln an seiner Schilderung gelang es gemeinsam mit allem Mut zum Gästehaus zu gelangen, und dort schlummernde Einheimische zu wecken.

Noch in derselben Nacht wurde versucht, das jetzt total verängstigte Tier aus der Umzäunung des Lagers zu jagen, was auch mit zwei Jeeps nicht gelang. Erst als der Zaun auf großer Breite zerschnitten wurde, gelang es zum Schluß. Als alles wieder ruhig war, begann ein schmaler roter Streifen im Osten den neuen Tag anzukündigen. Einen Tag voller Wärme, voller Leben und mit Einzelschicksalen, über die niemand je erfahren wird, weil sie sich im Staub des Lebens abzuspielen pflegen.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch