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Titel
Am Hafen
Der Text
Oft, wenn ich einen Hafen betrat, offenbarte er sich bereits zuvor in einer verräterischen Melange aus Düften und Gestank, aus Hast, Schweiß und gleichförmigen Alltags, aus den Zuwegen zu ihm, als ginge es zu einem Herzen, das darauf wartet, von mir geweckt zu werden.

Und wie ein Herz pumpte es Schiffe herein, drückte sie wieder heraus aus seinen Kammern und Luken mithilfe muskulöser Arme, ölverschmierter Maschinen, und entließ sie mit einem Ruf des Horns in die offene See.

Ich war gleichzeitig allein und doch nicht, war zeitgleich an sicherem Land wie unterwegs, und bewegte meine Fantasie ohne Rettungsring von Deck gespült bei Stärke 11. Das Detail einer Ankerkette, die im schmutzigen Hafenwasser versank, kam mir in den Blick, ein Hund, der nackt auf die Fahrrinne starrte, als ob er nur Futter angenommen hatte von jenem, der hinaus gefahren war....

Zwischen all dem Geplanke und Rost der Ruf einer Kirchglocke, in deren Nähe ein paar grell geschminkte Mädels gegen das Licht kicherten, das der Abend voraus schickte. Wenn es denn einen Horizont gab, suchte ich ihn auf der Kuppe des Deiches stehend. Ihn, den ich als Reißverschluss zwischen Wasser und Himmel bezeichnete. Für manchen nie ganz zu schließen, wenn er daran zweifelte, wo seine wahre Heimat war.

Aus der Hafenkneipe wehten einige Töne herüber. Kratzige, unzählig gespielte Waisen, die der ertrug, der schon genug des süffigen Bieres intus hatte, um sich zu erinnern, oder zu vergessen. Manche der gefräßigen Möwen drehten ihre letzten Runden über dem flachen Wasser und bewegten ihre Flügel nicht. Der Wind hatte gedreht.

Mit dem Glas hätte ich leicht den Horizont absuchen können nach einem Mast, der unter sich ein Schiff trug wie eine reife Frucht; noch unsichtbar. Aus der großen Wolke im Westen wurde ein orangefarbenes Kunstwerk, dem nur noch die Unterschrift des Künstlers fehlte. Zum Sand waren es ein paar Schritte.

Wenn zwischen den Bahnhofsschienen Zigarettenkippen herum lagen, waren es hier Bruchstücke. Zermahlen und zermalmt, wellenbewegt und entformt, geblichen, und sicher mehrfach auf Fresstauglichkeit geprüft. Das immer noch schwimmfähige Holz bewahrte sich seinen Überlebenswillen, und ich fragte mich, woher es die Kraft wohl nahm?

Ein Liebespaar nutzte die Stunde, um sich im Wasser stehend zu umarmen. Und fast wäre mir die Parallele zur Hafeneinfahrt entgangen, die mit ihren weit ausholenden Armen nichts anderes tat, als dieses Paar.
Typ
Kurzgeschichte
Autor
Burkhard Jysch