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Titel
Allez Laboe
Der Text
Allez Laboe

Als man ihn auf der Standspur fand hatte er noch die Pfötchenstellung eines Campingurlaubers. Fröstelnd klammerte er sich ans Lenkrad, war ansprechbar.....
Sommercamping 2007

Als ich das letzte Mal eine Luftmatratze aufblies, schmeckte sie genauso wie heute. Es war damals wie heute der Geschmack nach alter Fußmatte. Wer die Pumpe in der Hoffnung auf Millionen Pumpen im Umkreis von wenigen Metern zu Haus lässt, gibt´s ihr in kleinen Stößen in die winzige Öffnung, aus der es immer noch haucht, drückt man auf ihren Bauch. Nach einer gewissen Zeit aber lässt der anfängliche Ekel nach und weicht stillem Leiden. Wer Pause macht, wird mit dem Verlust vom Inhalt einer halben Lunge bestraft.

Nach einer halben Stunde ist die Luft aus mir gewichen und füllt das längliche Gewulst, in dessen Ventilöffnung jetzt der Stöpsel gesetzt wird. Er passt. Ganz Schlaue, (dazu zähle ich nicht), legen sie im schwangeren Zustand in eine Wanne, drücken sie unter Wasser und schauen nach Luftblasen wie der Ausguck seinerzeit nach Torpedos. Nun hat ja auch nicht jeder Campingplatz eine Wanne, die das verräterische Zischen verraten könnte. Ich vertraue ihr und bette sie seitlich der Steilwand, die ich für wenige Tage mit der Raufasertapete getauscht habe. Aufs blanke Gras noch die Seitenwand eines Bierzeltes, eine reine Schutzmaßnahme gegen Schnecken und Ameisen, die in der Nacht an mir hoch kriechen könnten, von unten kommend. Die Dose Mückenspray, die Zeckenzange, die Zuckerstückchen fürs Pferd, falls es nachts vorbeischaut und Hunger hat, mein Manuskriptblock, eine angebrochene Flasche Merlot, und obenauf den Schlafsack, machen ein Bild des Friedens. Meine Familie ist es.

Beim Aufbau des Zeltes liegt erst einmal alles durcheinander. Stangen, Verbindungsstücke mit Markierungen und ohne, Heringe und eine im strammen Wind flatternde Hülle, das Wichtigste am Zelt. Langsam kommt die Erinnerung zurück, und es finden sich die richtigen Stücke. In den bereits stehenden Nachbarzelten klicken die Stoppuhren und entlarven uns als Spätcamper mit rudimentären Steilwanderfahrungen. Bittere Erinnerungen an den Aufbau hinter dem Nordseedeich vor Jahren, als uns die Plane bei Windstärke 9 abgängig war und man sie über NDR2 auf der Windschutzscheibe eines LKW´s wieder fand keimen in mir hoch. Das Richtfest wird mit einem Schluck Merlot gefeiert und dem Spruch: "Was der Mensch errichtet hat, das soll der Sturm nicht knicken!" Irgendwie schmeckt der Wein nach Ajona. Der Reisezahnbecher ist kein Römer.

In der Nachbarschaft liegt der Ort Laboe. Aus dem Französischen übersetzt deutet er bereits auf das, was der Wetterbericht verspricht. Ein Fußmarsch am Strand bei untergehender Sonne hat die Romantik, die ich brauche nach den Staus auf der Autobahn. Der Hunger treibt uns in die Promenadensitze eines von einem Inder geführten Bratkartoffelrestaurants. Er hatte die Idee, der Deutschen Bratkartoffel statt Speck Currymischung beizugeben, was zwar exotisch, doch gewöhnungsbedürftig ist. Im Hintergrund hören wir einen Shantychor, der die Pest an Bord besingt als gäbe es sie heute noch, mit dem wir die schwarzbraune Haselnuss noch einmal genießen und den Jungen, der hoffentlich bald wieder kommt, um mir ein zweites Weizen zu bringen. Shantychöre gehören für mich zu den akustischen Beinbeschleunigern. Andere hingegen setzen sich ganz nah ran. Die Silver Generation wippt meist im Takt mit, der Veteran mit seinem Holzbein, das er vor Verdun gegen das Echte tauschte und davor noch mit Sonnencreme einrieb statt mit Wurmtod.

Noch beim Heimgang singt der Chor, in dessen dritte Zugabe wir hineingeraten wie in einen Hagelschauer. Als Camper hat man Stöpsel. Gelbe Pfropfen, die auch im Gehen nicht stören. Meine haben einen Faden seit ich damals als Kind ein in Öl getauchtes Wattebäuschchen nach innen wandern ließ, wo es erst Monate später wg. Gehörproblemen wieder entfernt wurde. Die Fäden fallen nicht besonders auf, wenn sie mir aus dem Ohr hängen, denn sie werden durch den jetzt kräftiger gewordenen Wind nach hinten geblasen, gemeinsam mit meinen 6 Haaren und dadurch etwas mehr Fülle geben.

Überall Touristen. Selbst auf Kinderspielplätzen Kinder. Was daheim von rauchenden Schlurfhosenträgern mit tiefschwarz gefärbten Augenwimperbegleitungen an Kletterstangen lehnt ist hier noch Kind und darf es sein. Eine gut gefüllte Schaufel Sand im Windstrom durch eine Vierjährige geworfen, trifft einen Fußgänger doch überraschend.

Durch einen kräftigen Rückenwind unterstützt klettern wir die Steilküste empor und treffen endlich unsere Gastgeber, die schon eine Zeit hier sind, und uns auf die Idee brachten in ihrer Nähe zu campen. Sie besitzen seit 14 Jahren einen Wohnwagen stationär, nicht ambulant. Sie haben Kinder, einen Grill und alles, was man zum echten Campen braucht. Die Lebensdauer des Merlot schwindet rapide. Wir stehen vor der ersten Nacht im Feld. 280 km von der Heimat nur durch Autobahnbeton und Baustellen getrennt. Der Feind ist noch unsichtbar, doch im Anzug.

Stolz zeigen wir den Gastgebern unsere Trutzburg, neben der eine Jugendgruppe aus Koblenz, eine vierköpfige Familie aus Trondheim mit Motorrädern und eine hilfsbereite Großfamilie aus Irgendwo die Nachbarschaft geben. Von den Koblenzern werden wir mit Musik bis in die späte Nacht versorgt, von der Norwegern durch Schnarch und von der Großfamilie mit Grillanzündern. Die Letzten ließ ich bei einer Schah Demo als Zünder damals.

Licht im Zelt bei uns gibt eine Glühstrumpflampe, die nach dem Durchlesen der vierseitigen Gebrauchsinformation ganz leicht zu entfachen ist. Sie hat was von ?out of Laboe? anstatt Afrika und wirft genug Lux auf meine Luftmatratze, die sich in eine Matt Ratze verwandelt hat. Schlaff, ja man kann sagen lustlos liegt sie auf dem Bierzelt mit Fenster zum Gras. Das ganze Pusten umsonst. Was hätte ich mit der Luft alles anfangen können? Dahin. Jetzt fehlt die Kraft. Ich werfe sie aus dem Rennen und mich aufs Gras. Wer einmal in Untersuchungshaft war, wird das Gefühl kennen. Ich jedenfalls nicht. Zudem setzt kräftiger Gewitterregen ein. Meine Ohrstöpsel saugen sich mit Wasser voll, da mein Schnuffelkissen, ohne das ich keinen Meter nachts aus dem Haus gehe, ebenfalls trunken ist. Ich merke wie das Wasser steigt, liege in Embrionalstellung im Sack wg. der Blitzgefahr und zähle die Einschläge. Das Kind bekommt nix mit. Frauchen lacht. Engländer haben ihren Humor, ich meinen.

Zwischen den Donnerschlägen vernehme ich das rhythmische Sägen des Norwegers, der an seinem Traumhaus aus Holz baut. Es muss ein großes Haus sein, was er in dieser Nacht baut. Ich muss hier raus. Das Gewitter zieht in die Kieler Bucht, wütet über dem Wasser während ich mich anziehe. Meine Hosenbeine rolle ich so weit es geht nach oben, die nassen Ohrstöpsel hänge ich über den Glühstrumpf zum Trocknen, und da es sowieso schwimmt draußen, spare ich mir die Schuhe. Anfänglich geht es durch Sumpfgras, kleine Bäche, die einmal Gehwege waren wie bei einer Wattwanderung vorwärts. Hier und da das Surren einer Tauchpumpe, die das Wasser zum Nachbarn befördert, der einen plötzlichen Wasseranstieg nicht erklären kann, aber ich. Ich höre jetzt besser, rieche die Natur, das Ozonloch, wittere das Klo. Meine Chipkarte, mit der ich Zugang zur Serviceeinrichtung habe, halte ich fest an mich gepresst. Ohne das Ding biste genauso hilflos wie auf der Suche nach Bier auf einer orientalischen Getränkekarte. Zuvor lege ich noch im Tänzelschritt barfuss einen geharkten Schotterweg zurück, der die Schmerzen im Becken stillt und sie in die Sohle verlagert. Man ziehe jetzt die Chipkarte schnell durch und lausche auf das Geräusch, aus dem Träume sind vor dem Wasserlassen.

Sie haben Geld ausgegeben für hyperdüper Pinkelbecken. Colani führte seine Hand ins Rund dieser hochmodernen Grauzellen männlicher Entspanntheit. Für Kleinwüchsige wurde das Schüsselchen extra XXS direkt über der Fußleiste angebracht, darüber die zwölfzeilige Gebrauchsanleitung, die zumeist bei der ersten Füllung hastig durchgelesen wird. Die Damen mögen jetzt etwa 4 Zeilen überlesen, denn es könnte Einsichten ins Unbekannte geben, in die Tiefe des Mannes. Männer hingegen sollten ruhig weiter lesen, es könnte nicht schaden, was WC Laboe so schreibt:

Ich entnehme, dass der Benutzer dieses Pissoirs sich nahe genug heranstellen möge, oder eines der Klos im Rücken des Bedrängten benutze, sich dabei aber hinzusetzen habe! Keinesfalls aber im Sitzen bei geöffneter Türe der Kabine den Versuch unternehme, die Schüssel an der Wand zu treffen. Toilettenfrauen aller Länder können das bittere Lied der Unmöglichkeiten singen, die sich hier im Dunkel der Nacht oder anderswo abgespielt haben mögen. Der Ausgang ist ohne Chipkarte möglich, was den Vorteil hat, dass bei Verlust im Sanitärbereich das Warten auf den ersten Morgengast verkürzt wird.

Jetzt können die Damen wieder einsteigen. Ich bin fertig.

Nach dem Geschäft wäscht Mann sich die Finger, damit das Pferd nicht scheut, wenn es nachts den Zucker gereicht bekommt. Trocknet sie sich unter einer Konstruktion, die auf einer Weltmesse den ersten Preis bekam. Sie gewann durch sofortiges Abschalten schon vor dem Anschalten. Das spart ungeheuer Strom auf Dauer und ist umweltfreundlich.

Als ich ins Zelt zurückkehre sind die Stöpsel noch naturfeucht, denn die Lampe ist ja aus. Ich lege mich aufs Fenster und lausche dem wieder einsetzenden Regen. 2007 ist ein Reisjahr, kein norddeutsches Reisejahr. Es fehlt nur die Temperatur, die aber den Prognosen zufolge erdweit ansteigt, was wieder neue Fantasien in mir weckt. Wasserbüffel auf der A1, Alligatoren am Kamener Kreuz, Vogelspinnen vor Laboe. Irgendwie komme ich nicht zur Ruhe. Der Himmel hat direkte Verbindung zum Reißverschluss unseres Zeltes. Immer wenn ich ihn öffne, fühlt sich der Große angesprochen und tut es ihm nach.

Am nächsten Tag spielen wir in der Regenpause Frisbee. Es ist ein schlapper Stofflappen mit Rand, der allwettertauglich sein soll. Sohni wirft, er flattert, landet im Nachbarzelt, Entschuldigung, wird wieder geworfen, landet beim Säger aus Trondheim auf seinem Grill, Tschuldigung, und zum dritten in der Rotdornhecke ganz oben drauf. Ich liebe Rotdorn. Er gehört zu meinen Lieblingspflanzen überhaupt. Wollte mir schon Ableger abreißen für Zuhause, nehme Abstand, nachdem ich den Frisbee endlich unter Einsatz meiner Blutreserven hervorgekramt habe. Nie wieder Rotdorn!

Am Abend spielen wir UNO. Das Licht lässt nach. Als ich eine rote 7 auf eine blaue 5 lege geben wir auf und erklären mich für farbenblind und verrückt.

Langsam verliere ich das Zeitgefühl. Warme Gedanken ersetzen Gänsehaut. Ein Bett, man stelle es sich vor. Die letzte Nacht bevor ich mich Richtung Osten aufmache, dort wo die Sonne aufgehen soll, gibt es noch einmal Regen. Die Wetterkarte zeigt rings um Deutschland rote Zonen, in denen die Hunde hinter den Bäumen herlaufen, ums Bein heben zu können.

Wer ein richtiger Camper ist, lässt sich durch nichts erschrecken. Er sollte sich nur das Jahr aussuchen. 2015 soll es einen trockenen Abschnitt geben zwischen dem 25.ten und 27.ten Juli. Grad vor Laboe.
Typ
Geschichte
Autor
Burkhard Jysch